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Geigenstars Autobiografien von Nigel Kennedy und David Garrett

Beide sind als Stargeiger bekannt. Wie viele ihrer Wege dorthin sich gleichen, zeigen die Autobiografien von Nigel Kennedy und David Garrett.

Von Gerd Roth, dpa 13.04.2022, 10:36
Ganz versunken in die Musik: Der Violinist Nigel Kennedy tritt in der Elbphilharmonie in Hamburg auf.
Ganz versunken in die Musik: Der Violinist Nigel Kennedy tritt in der Elbphilharmonie in Hamburg auf. Daniel Reinhardt/dpa

Berlin/Krakau - Das Kinn braucht einen Drei-Tage-Bart. Die Haare sollten punkig sein oder auch lang, jedenfalls keinen konventionellen Schnitt haben. Und bitte: keine festliche Garderobe.

Wenige sehr äußerliche Kriterien können schon reichen, um einem Stargeiger jenseits der Konzertsäle etwas mehr „street credibility“, einen rebellischen Anschein zu verpassen. Nigel Kennedy und David Garrett gehören zwei unterschiedlichen Generationen an, erfüllen aber beide manches Außenseiterklischee. Mit ihren Autobiografien „Mein rebellisches Leben“ (Kennedy) und „Wenn ihr wüsstet“ (Garrett) blicken sie nun jeweils auf ihr Leben. Sie zeigen dabei, welch unterschiedliche Nuancen Rebellion mit der Violine haben kann.

Schon als Kinder begonnen

Die frühen Wege der Musiker zeigen viele Parallelen auf: Beide stammen aus musikalischen Häusern, begannen als kleine Kinder mit vier (Garrett) und sechs (Kennedy) Jahren das Geige-Spiel. Talent und gute Lehrerinnen und Lehrer führten sie jeweils nach London unter die Fittiche von Yehudi Menuhin (1916-1999), für viele der vielleicht bedeutendste Geigenvirtuose. Auch die einschlägig gefeierte Juilliard School in New York besuchten sowohl Kennedy als auch Garrett. Getrennt immer von einer Generation: Der bei Krakau lebende Brite Kennedy ist heute 65 Jahre alt. Der in Aachen geborene David Christian Bongartz, der mit Beginn seiner Karriere den Namen seiner Mutter übernahm, ist jetzt 41.

Jenseits ihrer diversen Erfolge mit Konzerten und Einspielungen werden Kennedy und Garrett in der Fachwelt unterschiedlich betrachtet. Kennedy spiele zwar immer wieder den „bad boy“, habe dabei aber den klassischen Weg nie wirklich verlassen, heißt es dann etwa. Anders sei das bei Garrett, der nach erfolgreichen Ausflügen in die Crossover-Welt Probleme habe mit Erwartungen und klassischer Konkurrenz. Die Corona-Zeit haben nun beide genutzt, um ihre Autobiografien zu schreiben.

Nigel Kennedy: „Mein rebellisches Leben“

Der Durchbruch kam mit Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ 1989. Der Erfolg bis in die Charts lag nicht nur an der neuartigen Vermarktung. Kennedy selbst macht im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur auch „die positive Energie dieser Musik und die sehr zugänglichen Melodien“ dafür verantwortlich. „Man brauchte keinen Musik-Abschluss zu haben, um das zu genießen.“ Das sei viel einfacher gewesen als Miles Davis oder Brahms oder andere Sachen, die er in der Zeit gespielt habe.

Die berühmte Aufnahme interessiert ihn nicht mehr. „Ich höre lieber Musik von anderen, dann kann ich was Neues über Musik lernen oder mich einfach wohlfühlen und ein bisschen rumtanzen.“ Musikalische Ausflüge gibt es eine Menge zu Jazz oder Rock. Kennedy beschreibt die Unterschiede: Eine Note wie ein Fis oder ein Ges habe einen anderen Zweck bei Bach, Beethoven, Brahms, Jimmy Hendrix oder Led Zeppelin. Letztlich komme es auf den Instinkt an, das Gefühl für Harmonien, die Struktur.

Kennedy schreibt frech, mitunter rotzig. Das Enfant terrible kokettiert mit Grenzüberschreitungen, da „mag meine Ausdrucksweise der heutigen Gedankenpolizei möglicherweise hier und da politisch nicht ganz korrekt erscheinen, vor allem wenn ich witzig zu sein meine“. Der „Bad Boy“ ist ein Teil von ihm. Auch dafür gibt es dann Kapitel über die schlimmsten Gigs oder Begegnungen mit der Polizei. „Du kannst nicht genau das sein, was alle von dir erwarten“, sagt Kennedy. „Ich bin einfach der, der ich bin.“

Kennedy widmet sich ausgiebig dem von ihm geliebten Sport. Natürlich geht es um Fußball, was bei ihm Aston Villa heißt, „der größte Verein, den die Welt je gesehen hat“. Im Stadion vergesse er seine Musik, sich selbst. Er sei dann „einer von 40 000 Menschen, die alle das Gleiche wollen, nämlich, dass Villa dieses Spiel gewinnt“. Boxer inspirieren ihn. „Die müssen einfach noch engagierter sein als ich“, sagt Kennedy. „Wenn ich davon nur ein bisschen schaffe, hilft mir das, eine viel bessere Leistung zu bringen.“

David Garrett: „Wenn ihr wüsstet“

Garretts große Erfolge werden vor allem mit Crossover-Projekten verbunden. „Ich wollte, dass das Publikum den Blick auf die Klassik erneuert und verändert. Vor allem ein Publikum, das bisher keinen Bezug zu Klassik gefunden hat“, sagt Garrett der dpa in Berlin. „Ich glaube, dass sich Leute auch über meine Konzerte hinaus für die Klassik begeistert haben.“

Seiner Wirkung ist er sich dabei bewusst. „Die Menschen fasziniert die Leichtigkeit beim Spielen, im Umgang mit klassischer Musik.“ Damit nehme er die Hemmschwelle.

Die Leichtigkeit fußt auf einer harten Zeit als Wunderkind. „Wenn man als Kind diesen Beruf sozusagen auferlegt bekommt, ist nicht nur Sonnenschein und Harmonie zu Hause“, sagt er über frühe Jahre. „Die Kindheit war emotional die schwierigste Zeit meines Lebens. Das Instrument zu lernen ist anstrengend und erfordert eine unglaubliche Disziplin, und das erzeugt natürlich Druck, besonders für ein Kind.“

Von sich selbst sagt Garrett: „Ich bin jemand, der es liebt, Ideen zu haben.“ Crossover sei zunächst ein Kritikpunkt gewesen. „Die Leute haben vielleicht auch die Befürchtung gehabt, dass ich mich nur darauf fokussiere, nur den kommerziellen Erfolg sehe und mich nicht auf die Klassik konzentriere.“ Er habe aber auch immer wieder sehr erfolgreiche Klassik-Alben aufgenommen, sei von ganz großen Dirigenten eingeladen worden. Das habe Kritikern „ein bisschen die Luft aus den Segeln genommen“. Zudem habe er viele Türen geöffnet, „nicht nur für mich, sondern auch für viele meiner Kollegen“.

Wie kommen so zwei Rebellen, zwei Türöffner miteinander klar, die sich in überschneidenden Bereichen (und Märkten) tummeln? Sie gehen sich aus dem Weg, gelegentlich gibt es hier und da eher abfällige oder distanzierte Bemerkungen. In Garretts Buch findet sich der Name des Kollegen auf 368 Seiten einmal. Kennedy hat fast die Hälfte mehr geschrieben - ohne Garrett direkt zu erwähnen.

- Nigel Kennedy, „Mein rebellisches Leben“, Klett-Cotta-Verlag 2022, 528 S., ISBN: 978-3-608-50020-2, 28 Euro.

- David Garrett, Leo G. Linder, „Wenn ihr wüsstet. Die Autobiografie“, Heyne, 368 S., ISBN: 978-3-453-21833-8, 22 Euro.