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Churchill, Chaplin und der "schwarze Hund"

02.09.2014, 13:33

Berlin - Auf den ersten Blick hätten Winston Churchill und Charlie Chaplin nicht unterschiedlicher sein können. Der eine bullig und groß, immer etwas steif und zugeknöpft, der andere dagegen klein, spillerig und quecksilbrig.

Beide kamen aus völlig entgegengesetzten sozialen Milieus. Churchill entstammte einem angesehenen britischen Adelsgeschlecht, war finanziell stets auf Rosen gebettet, während der Aufsteiger Chaplin seine Kindheit in bitterster Armut verbringen musste. Zwischen dem Staatsmann und dem Komiker gab es auch beruflich kaum Berührungspunkte. Allerdings sind sie sich mehrfach begegnet und waren sogar miteinander befreundet. Denn sie hatten einen gemeinsamen Feind: den "schwarzen Hund", die Melancholie.

Die beiden Ikonen des 20. Jahrhunderts wurden regelmäßig von Depressionen heimgesucht. Soweit die Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft, über die der österreichische Autor Michael Köhlmeier (64) einen Roman geschrieben hat, der es auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis geschafft hat. "Zwei Herren am Strand" erzählt von zwei großen Männern, die durch ein wenig bekanntes, gemeinsames Schicksal verbunden sind.

Während die Hollywoodstars Party feiern, treffen sich die zwei Melancholiker "am Strand unter dem Sternenhimmel des kalifornischen Februars". So beginnt die Geschichte ihrer "talk-walks", Spaziergänge, die sie in unregelmäßigen Abständen fortsetzen und in denen sie weder über Politik noch über Filme oder den neuesten Promiklatsch reden. Vielmehr geht es um ein einziges Thema, den Suizid: "Mit anderen Dingen hielten sie sich nicht auf. Sie hatten wenig gemeinsame Interessen und zu viele trennende Ansichten. Sie besprachen Motive und Techniken, sich das Leben zu nehmen." Beide kannten die düstere Versuchung, wenn sie vom "schwarzen Hund" heimgesucht wurden.

Churchill, scheinbar der "Inbegriff des britischen Draufgängertums", wurde immer wieder hinterrücks von der Depression angefallen. Sie verwandelte den brillanten Rhetoriker binnen weniger Stunden in einen "ängstlichen Stammler". Und Chaplin, der große Leinwandkünstler, litt nach Abschluss eines Films oft unter quälenden Angstzuständen. Die beiden Leidensgenossen schließen eine Art Beistandspakt: Sie wollen einander helfen, wann immer sie in Trübsinn verfallen.

Das Ganze präsentiert Köhlmeier aus der Sicht eines Ich-Erzählers, der diese Geschichte einer Männerfreundschaft angeblich von seinem Vater gehört hat, der wiederum in engem Kontakt mit Churchills Privatsekretär gestanden haben soll. Dieses etwas komplizierte Konstrukt schafft Nähe und Distanz zugleich. Es gelingt dem Autor dabei ganz vorzüglich, die Seelenzustände seiner berühmten Protagonisten in all ihren feinen Verästelungen und Verdüsterungen darzustellen.

Wir sehen Churchill weniger als den großen Staatsmann oder Chaplin als den genialen Filmemacher, wie wir sie aus Geschichtsbüchern kennen, sondern als Menschen mit Schwächen und Anfechtungen. Mit jeder Zeile wird klar, dass der Autor akribisch recherchiert und dokumentiert hat. Dadurch schafft er eine große Authentizität, gleichzeitig aber geht er bis an die Grenzen dessen, was für einen Roman zulässig scheint. An manchen Stellen droht das Dokumentarische das Fiktionale fast zu überlagern. Das ändert aber nichts daran, dass das Buch ein großes Lesevergnügen ist.

- Michael Köhlmeier: Zwei Herren am Strand, Carl Hanser Verlag, München, 256 Seiten, 13,99 Euro, ISBN 978-3-446-24603-4.