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Schauerroman Ein Biss für die Ewigkeit: 125 Jahre „Dracula“

Ein Spiegelbild fehlt ihm, Schatten wirft er keinen: Den berühmtesten Blutsauger gibt es seit 125 Jahren. Er ist tatsächlich einfach nicht totzukriegen. Bram Stokers Roman „Dracula“ hat Jubiläum.

Von Sebastian Fischer, dpa Aktualisiert: 27.05.2022, 12:05
Der kolorierte Holzschnitt aus dem 15. Jahrhundert zeigt Fürst Vlad III., genannt "Dracula".
Der kolorierte Holzschnitt aus dem 15. Jahrhundert zeigt Fürst Vlad III., genannt "Dracula". picture alliance / dpa

Berlin - Bevor im Juli 1921 die Dreharbeiten zum deutschen Vampir-Meisterwerk „Nosferatu“ beginnen, handelt Hauptdarsteller Max Schreck für sich angeblich eine besondere Art der Bezahlung aus.

Statt Geld soll ihm „während der Drehtage täglich ein Liter Blut von weiblichen Probanden (20-30-jährig mit Gesundheitszeugnis) zur freien Verfügung gestellt“ werden, wie es in einem angeblich vertraulichen Vertrag heißt. Klingt äußerst bizarr, dämonisch und schaurig. Doch das Schriftstück ist wohl nur ein Marketing-Gag.

Nach der Premiere des expressionistischen Horror-Klassikers handelt sich die Produktionsfirma allerdings eine dicke Urheberrechtsklage ein. Denn unübersehbar stahl Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau beim irischen Autor Bram Stoker. Dessen Roman „Dracula“ war damals gerade einmal ein Vierteljahrhundert alt.

Am Donnerstag (26.5.) vor 125 Jahren steigt der furchterregende Graf erstmals aus seiner Gruft ins Reich der viktorianischen Gruselliteratur. Für den Tag der Veröffentlichung sollen 3000 Exemplare des 390 Seiten dicken Buches mit gelbem Leineneinband und rotem Titel ausgeliefert worden sein.

Mit seinem Bestseller über den Adeligen aus Transsilvanien gibt Stoker den schon aus der Antike bekannten Vampiren endlich Herkunft und Namen. Auf Deutsch erscheint die Gruselgeschichte erstmals 1908. Es sollte bis zu Stokers Tod als verarmter Autor im Jahr 1912 neben der Isländischen die einzige Übersetzung bleiben. Später erst tritt „Dracula“ zu seinem kulturellen Siegeszug an.

Die Geschichte ist oft erzählt, verfilmt und adaptiert: Graf Dracula erhebt sich nachts aus dem Grab, um sich bei seinen Opfern durch einen Biss in den Hals das lebensnotwendige Menschenblut zuzuführen.

Nachdem er seinen englischen Rechtsanwalt Jonathan Harker auf seinem Spukschloss in den Karpaten eingesperrt hat, macht sich der Vampir auf den Weg nach London, um sich dort nach neuen Opfern umzuschauen und Harkers Verlobte als Eroberung in sein Reich der Untoten zu holen. Doch eine Gruppe um den holländischen Wissenschaftler Abraham van Helsing sind ihm mit Knoblauch, Kruzifix und Rosenkranz auf der Spur. Letztlich zur Strecke gebracht wird der Blutsauger, der das Tageslicht scheut und sich in Wolf, Hund oder Fledermaus verwandeln kann, erst in seiner Heimat im damaligen Königreich Ungarn.

„Kein Buch seit Mrs. [Mary] Shelleys "Frankenstein" oder überhaupt eines anderen reicht an deines an Originalität heran - oder an den Schrecken“, schreibt Stokers Mutter Charlotte ihrem Sohn begeistert.

Das historische Vorbild für den Grafen ist der berüchtigte Fürst Vlad III. Dracula im heutigen Rumänien. Im 15. Jahrhundert stellte dieser sich einem Ansturm der Osmanen mit äußerster Brutalität entgegen. Er soll zum Beispiel die Vorliebe gehabt haben, seine Gegner durch Pfählung hinzurichten. Stoker lässt sich auch von älteren Vampirromanen, volkstümlichen Legenden und Berichten aus Transsilvanien - auch bekannt als Siebenbürgen - anregen.

Der Autor selbst reist nie in die Karpaten, sondern holt sich seine Eindrücke der wilden Gegend aus Archiven und Bibliotheken. Die Geschichte von Fürst Vlad entdeckt er wohl in einem Buch über die Walachei und Moldawien, das er während eines Urlaubs mit seiner Familie in einer Bibliothek in Whitby in Nordengland ausleiht.

Die kleine Hafenstadt wird zu einem der zentralen Schauplätze in „Dracula“. Stoker recherchiert dort auch etwa zum Segelschiff „Dmitri“ aus Osteuropa, das später im Roman als „Demeter“ - deren Crewmitglieder der Vampir genüsslich nach und nach leert - seinen großen Auftritt hat. Das Schiff war in Whitby einst auf Grund gelaufen. Der Legende nach soll aus diesem ein schwarzer Hund entsprungen und in die nahe gelegene Abtei gelaufen sein. Im Roman ist es später Dracula selbst, der als verwandelter Vierbeiner in Whitby erstmals England betritt.

Dass Dracula im kulturgeschichtlichen Gedächtnis so sehr verankert ist, hat gewiss nicht wening mit den charaktervollen Darstellungen auf der Leinwand zu tun: Max Schreck, Bela Lugosi, Christopher Lee, Klaus Kinski, Gary Oldman, Willem Defoe, Jonathan Rhys Meyers oder (in seiner unnachahmlichen Blödelei) Leslie Nielsen haben dem Blutsauger über die Jahrzehnte schon ihr markantes Gesicht geliehen.

Bald schlüpft Nicholas Cage in der Gruselkomödie „Renfield“ in die Rolle des Fürsten der Dunkelheit. Und kommendes Jahr soll auch ein Horrorfilm über die letzte Reise der „Demeter“ erscheinen. Bram Stokers alter Untoter ist also weiter quicklebendig.