Herzensbrecher Goethes Erasmus-Jahr im Elsass
Er sollte sein Französisch verbessern und weiter Jura studieren - das ist der Plan, als Goethe von seinem Vater nach Straßburg geschickt wird. Der Sohn besteht die Doktorprüfung und hinterlässt ein gebrochenes Herz.
Straßburg/Sessenheim (dpa) - Er hat gefeiert, er hat sich verliebt, und am Ende hat er auch irgendwie noch seinen Jura-Doktor gemacht. Mit Anfang Zwanzig verbringt Johann Wolfgang Goethe ein Jahr in Straßburg und nimmt alles mit, was das Leben für ihn bereit hält.
Im Herbst lernt Goethe im etwa 40 Kilometer von Straßburg entfernt gelegenen Dorf Sessenheim die Pfarrerstocher Friederike Brion kennen und verbringt fortan mehr Zeit mit ihr als mit juristischen Studien. Er reitet zur Geliebten und dichtet: "Es schlug mein Herz; geschwind zu Pferde!" ("Willkommen und Abschied").
Fast 250 Jahre ist das her und in Sessenheim doch unvergessen. Der Ort hat aus dem Liebesidyll herausgeholt, was geht. Es gibt (nicht abschließend!): eine Goethe-Gedenkstätte, Goethe-Hügel und -Eiche, einen Goethe-Wanderweg. Selbstverständlich Straßen benannt nach den beiden. Friederike ist zudem Namenspatronin der Schule.
"Sessenheim, das ist Goethe", sagt Dumoulin. Wer mitten im Ort parkt, mit deutschem Kennzeichen, und sich kurz umguckt, bekommt sofort die Geschichte von Goethe und "seinem Liebchen" erzählt. Unaufgefordert.
Profitiert hat von dem Liebesleben des deutschen Dichters auch die "Auberge au Boeuf". Der Familienbetrieb pflegt seit 1890 eine private Goethe-Sammlung. Im Fenster des Ausstellungsraums steht eine Büste des Autors - dahinter auf der anderen Straßenseite die Kirche, wo Friederikes Vater einst seine Predigten hielt - mit Goethe unter den Zuhörern: "Wo ich denn, an ihrer [Friederikes] Seite, eine etwas trockene Predigt des Vaters nicht zu lang fand", schrieb er in dem autobiografischen Werk "Dichtung und Wahrheit".
Eine Erstausgabe des Buches steht aufgeschlagen in einer Vitrine des Museums. Daneben ein Sammelsurium aus alten Schätzen: Briefe, ein Bibliotheks-Leihzettel von Goethe aus Jena, eine Todesanzeige im Original, Bibelausgaben von 1589 und 1656. An den Wänden hängen Schwarz-Weiß-Aufnahmen des Ortes, alte Karten der Rheinebene, eine Galerie mit den "bekanntesten Frauen aus Goethes Liebesleben".
Zusammengestellt hat die Sammlung Wilhelm Gillig - ein Schreinermeister, der "fasziniert (war) von dieser Geschichte des Liebesidylls", sagt Christiane Charneau über ihren Großonkel. Die 66-Jährige hat die "Auberge au Boeuf" selbst in dritter Generation betrieben und mittlerweile an ihren Sohn abgegeben.
Sie hätten Gäste aus dem Schwarzwald, die kommen jedes Jahr an Goethes Geburtstag. "Es gibt noch Goethe-Fans, also richtige", sagt die Elsässerin und lacht laut. Früher, bevor sie das Museum vom Haupthaus in einen Anbau verlegt haben, da hätten sie einen Gast gehabt, "der kam nur, wenn er dort essen durfte und den Schlüssel zur Bibliothek hatte". Er habe dann "kleine Feste" gefeiert und "nur Leute eingeladen, die wirklich Goethe-besessen waren".
Nur wenige Schritte von Gaststätte und Kirche entfernt, hat die Stadt eine Gedenkstätte errichtet. Vor der kleinen Überdachung bringt sich eine Gruppe älterer Herren im Radfahrer-Dress in Position für ein Erinnerungsfoto. Ihr nächstes Ziel: Meißenheim, auf der deutschen Seite des Rheins. "Da soll Goethe noch eine Geliebte gehabt haben", flüstert einer der Radler. Tatsächlich ist es auch Friederike, die in Meißenheim ihre letzten Jahre verbrachte und dort begraben liegt.
Am Ortsausgang von Sessenheim liegt "Friederikens Ruhe" - eine Lichtung, zu der das Liebespaar regelmäßig hinspazierte und wo das "Heidenröslein" entstanden sein soll. "Wir haben als Kinder immer gesagt der Goethe-Hügel, weil das der einzige Hügel hier ist", erinnert sich Charneau. "Da sind wir dann Schlitten gefahren."
Der "Hügel" ist eher eine kleine Erhebung, in dem ansonsten flachen Land, wo man schon von weitem über Kornfelder hinweg den Zwiebelturm der Kirche sieht. Die Stadt hat dort einen groben Holzpavillon aufgebaut - er hat den Charme einer Schutzhütte für Wanderer.
Anders als in Sessenheim muss man in Straßburg nach den Spuren Goethes suchen. Vor der Universität steht eine Statue, im Botanischen Garten eine Büste, am ehemaligen Wohnhaus am Alten Fischmarkt hängt eine Plakette - das war's. Gästeführerin Dumoulin sagt trotzdem: "Sagen Sie mir nicht, es gebe hier nicht viel über ihn." Goethe sei immerhin der einzige Schriftsteller in der Stadt mit einer Statue!
Fasziniert war Goethe vom Straßburger Münster. In "Dichtung und Wahrheit" widmet er sich ausführlich dem Bauwerk, auf dessen Turm er regelmäßig gestiegen sein soll, um seine Höhenangst zu bekämpfen.
1771 bringt Goethe wie vorgesehen seine Doktorprüfung hinter sich und reist ab. Damit endet die Liebesgeschichte zwischen dem Mädchen vom Land und dem Mann, der einer der bedeutendsten deutschen Dichter werden sollte. "Auch wenn er sehr verliebt war in sie", sagt Dumoulin. "Aber sie hat eben nicht in seine Karrierepläne gepasst."
Acht Jahre später macht Goethe noch einmal einen Abstecher nach Sessenheim. Aber: "Le charme était rompu", sagt Charneau - der Zauber war gebrochen.
