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Drei Erzählungen „Große Kunst“ - Ingo Schulzes „Tasso im Irrenhaus“

Ingo Schulze ist das Gegenteil von Dünnbrettbohrer. Der Autor kniet sich in seine Themen hinein, gerade wenn es um Kunst geht. Wie unterhaltsam das sein kann, zeigt sein neues Buch.

Von Andreas Heimann, dpa 10.06.2021, 15:28
Der Schriftsteller Ingo Schulze kniet sich in seine Themen hinein, gerade wenn es um Kunst geht.
Der Schriftsteller Ingo Schulze kniet sich in seine Themen hinein, gerade wenn es um Kunst geht. Annette Riedl/dpa

Berlin/München - Wenn Ingo Schulze über Kunst nachdenkt, geht es nicht zwangsläufig um Literatur. Das Interessenspektrum des in Dresden geborenen und in Berlin lebenden Schriftstellers (58) ist seit langem breitgefächert.

Dass es aus seiner Sicht wichtige Verbindungen zwischen bildender Kunst und Literatur gibt, ist offensichtlich. Um die Kunst und um solche Bezüge geht es in seinem jüngsten Buch „Tasso im Irrenhaus“, das drei Erzählungen versammelt.

Es hat seinen Titel nach einer von ihnen benannt. Sie widmet sich Torquato Tasso, dem italienischen Dichter des 16. Jahrhunderts, dem Genie und Wahnsinn gleichermaßen nachgesagt wurden. Etliche andere Künstler haben sich mit seinem Schicksal auseinandergesetzt, Goethe in seinem Tasso-Drama genau wie der französische Maler Eugène Delacroix. Goethe spielt bei Schulze („Simple Storys“, „Die rechtschaffenen Mörder“) allerdings nur eine Nebenrolle. Er konzentriert sich auf den Romantiker aus Frankreich.

Über dessen Bild „Tasso im Irrenhaus“ soll der Ich-Erzähler und Schriftsteller einen Vortrag halten. Und so entscheidet er sich, auf dem Weg von Rom über Zürich nach Deutschland einen Abstecher in die Ausstellung im schweizerischen Winterthur zu machen, in der das Delacroix-Werk gezeigt wird. In Schulzes vielschichtiger Tasso-Geschichte beschäftigt sich ein Autor also mit dem Werk eines Malers, der einen Dichter ins Zentrum seines Bildes gestellt hat.

Delacroix zeigt Tasso mit weit geöffnetem Hemd, abgemagert, auf dem Boden vor ihm eine Reihe von Zetteln. Es ist nicht klar, ob sie Gedichte, Briefe oder Tagebuchnotizen enthalten. Er stellt den Dichter an einem Tiefpunkt seines Lebens dar, als er mehrere Jahre im St.-Anna-Hospital in Ferrara verbrachte.

„Ein gutes Bild, odder?“, fragt einer der anderen Besucher der Ausstellung. „Große Kunst, odder?“ Und schon sind die beiden Bildbetrachter mitten in einem anregenden Dialog über Delacroix, dessen Sicht auf Tasso und schnell vieles mehr.

Auch in den Erzählungen „Das Deutschlandgerät“ und „Die Vorlesung“ spielen Kunst und Literatur eine wichtige Rolle: Bei der ersten geht es nicht zuletzt um die Wirkung der gleichnamigen Installation des Künstlers Reinhard Mucha auf zwei Schriftsteller, die sich darüber austauschen. In der letzteren ist der Ich-Erzähler zu Besuch beim sterbenskranken Berliner Maler Johannes Grützke (1937-2017). Der hat ihn zu sich ins Hospiz eingeladen zu einem „Gedankenspiel in völliger Freiheit der eigenen Ideen“.

Und so macht sich der Autor auf den Weg, trifft den Maler allerdings in angeregter Unterhaltung mit einem Kreis weiterer Besucher. Schon bald ist er mittendrin in einer Diskussion über letzte Fragen wie der, ob wahre Kunst womöglich nichts mit Kunst zu tun hat. Darüber ließen sich auch staubtrockene Fachaufsätze schreiben. Aber Schulzes Erzählungen, die zuvor bereits an anderer Stelle erschienen sind und nun in überarbeiteter Form als Buch veröffentlicht wurden, nehmen sich solcher Themen geradezu unterhaltsam an. Auch das macht sie so lesenswert.

- Ingo Schulze: Tasso im Irrenhaus. dtv Verlagsgesellschaft, München, 158 Seiten, 20,00 Euro, ISBN 978-3-423-28239-0.