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Jo Nesbø "Koma": Harry Hole jagt "Polizeischlächter"

11.11.2013, 08:13

Berlin - War\'s das jetzt mit Harry Hole? Millionen Fans des charismatischen Ermittlers aus der norwegischen Romanserie von Jo Nesbø waren am Ende des neunten Bandes "Die Larve" (2012) verwirrt.

Ihr Thriller-Held lag in einer völlig verdreckten Osloer Fixer-Wohnung, anscheinend tödlich verletzt durch einen Kopfschuss seines drogensüchtigen Ziehsohns Oleg. Man wagte kaum zu hoffen, dass es mit Hole weitergeht.

"Der Leser möchte natürlich wissen, was aus Harry geworden ist", sagt Nesbø nun im Verlags-Interview zu seinem neuen Buch. Und er liefert mit "Koma" eine abenteuerliche, Haken schlagende, komplizierte, hochdramatische Auflösung.

Norwegen-Urlauber wussten schon im Frühsommer, dass Harry Hole die familiäre Katastrophe irgendwie überlebt haben musste. Der zehnte Roman um den begnadeten Hauptkommissar und tieftraurigen Quartalstrinker lag dort in hohen Stapeln an den Supermarktkassen und trug den Originaltitel "Politi" ("Polizei"). Ein Hinweis darauf, dass es diesmal ins Zentrum des Osloer Polizeiapparates geht. Dessen Abgründe hatte Nesbø schon früher eindrucksvoll ausgeleuchtet und immer wieder authentische Polizistenfiguren erfunden - vom kleinen Streifenbeamten bis zum hohen Tier der Hauptstadt-Behörde.

Der deutsche Romantitel führt insofern in die Irre, als es um einen Koma-Patienten nur am Rande geht. Einige Zeit bleibt zwar unklar, ob Harry Hole selbst nach dem beinahe tödlichen Drogen-Drama um den Großdealer Rudolf Asajew in einem gut bewachten Krankenzimmer dahindämmert. Aber dann taucht er einigermaßen erholt wieder auf, als Dozent der norwegischen Polizeihochschule und zunächst ganz weit weg von den Ermittlungen seiner Ex-Kollegen zu einer Serie grausiger Morde - an Polizisten. Auf die hat es ein Killer abgesehen, der an den Tatorten unaufgeklärter Morde die damals beteiligten Ermittler mit gnadenloser Brutalität hinrichtet.

Natürlich wird der zaudernde Pflichtmensch Hole bald schwach, und so schließt er sich einer verdeckt arbeitenden Kriminalisten-Gruppe an, um den oder die "Polizeischlächter" zu finden. Dass er seine langjährige Freundin Rakel nicht nur vernachlässigt, sondern bis zum blutigen Ende in höchste Gefahr bringt, erinnert an Nesbøs bislang besten Hole-Roman "Schneemann" (2009). Aber diese Eskalation ist eben nur Teil einer komplexen Handlung, wobei diverse falsche Fährten den Leser hart am Rande der Groteske in die Irre führen.

In den oft dialoglastigen, aber auch ohne billige Action jederzeit spannenden Szenen geht es dem 53 Jahre alten Krimiautor um mehr. Nesbø schildert Oslos Polizei als Nährboden für Korruption, arrogante Rücksichtslosigkeit und kleingeistige Homophobie, aber auch als Kreativmilieu für eine ganze Reihe hochkompetenter und zutiefst menschlicher Ermittler. Beide Seiten der Medaille werden in "Koma" so virtuos zum Vorschein gebracht wie noch nie in dieser Romanreihe.

Ein Namensverzeichnis listet diesmal die Personen der jüngeren Nesbø-Krimis auf - keine schlechte Idee, denn in "Koma" tauchen verwirrend viele Figuren aus Gegenwart und Vergangenheit auf. Harry Hole wird in diesem Tableau als "sensibler Alkoholiker" beschrieben, "mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn und der Gabe, sein Leben immer dann in den Sand zu setzen, wenn es gerade bergauf zu gehen scheint".

Am Ende von "Koma" stehen ein womöglich in die Zukunft weisendes, düsteres Verbrechens-Szenario - und dieser Satz: "So sollte es enden, genau so." Damit darf nun neu diskutiert werden, ob die Krimireihe zu Ende ist oder nicht. Der Autor lässt es im Interview offen: "Dieses Buch könnte das letzte Buch für Harry sein. "Koma" wäre ein guter Abschluss der Serie. Aber es muss nicht das Ende sein."

Nesbø räumt inzwischen ein, dass er mit Harry Hole nicht nur den Musikgeschmack - vor allem US-Indie-Rock - teilt: "Wir sind beide romantisch, melancholisch und leben einen Mix aus Chaos und Disziplin", sagt er. "Anfangs habe ich gedacht, er und ich wären vollkommen verschieden. Inzwischen weiß ich, dass das nicht stimmt. Er ist zwar nicht mein Alter Ego, (...) trotzdem ist viel von mir in Harry eingeflossen. Sagen wir mal 70 Prozent."

Eines dürfte in jedem Fall feststehen: Nesbø hat Hole viel zu verdanken. Nach zuletzt riesigen Verkaufszahlen - von "Schneemann" (400 000 Expemplare) über "Leopard" (500 000) bis "Die Larve" (450 000); Gesamtauflage im deutschsprachigen Raum drei Millionen Exemplare - ist mit dem meisterlichen Thriller "Koma" ein neuer Erfolg programmiert.

Jo Nesbø: Koma, Ullstein, 624 Seiten, 19,99 Euro, ISBN 978-355008013-5