Eine Freundschaft "Liebe, süße, geliebte Astrid": Briefe an Lindgren
Zwei Frauen, eine in Stockholm, die andere in Berlin, schreiben sich. Über 600 Mal, elf Jahre lang. Die Briefe von Astrid Lindgren und Louise Hartung sind voll von unerfüllter Liebe, Freundschaft und Alltagssorgen.

Stockholm/Berlin (dpa) - Die berühmte schwedische Schriftstellerin Astrid Lindgren hatte viele Verehrer auf der ganzen Welt. Nur eine hat ihre Schwärmerei aber wohl so leidenschaftlich zum Ausdruck gebracht wie die Deutsche Louise Hartung.
Nach einem Treffen in Berlin 1953 verliebt sich die frühere Sängerin Hals über Kopf in die Schwedin. Auch wenn Lindgren die romantischen Gefühle nicht erwidert, entsteht ein Band zwischen den beiden. Im Laufe von elf Jahren schreiben sich die beiden Frauen über 600 Briefe. Sie erzählen die Geschichte einer Freundschaft, geben aber auch einen Einblick in das Leben in der Nachkriegszeit, im zerbombten Deutschland und dem neutralen Schweden.
Unter dem Titel "Ich habe auch gelebt! Briefe einer Freundschaft" haben die dänischen Herausgeber Jens Andersen und Jette Glargaard die Korrespondenz von Lindgren und Hartung zwischen 1953 und 1964 auf rund 500 Seiten gestutzt. Sie beginnt nach der ersten Begegnung der beiden. Hartung, die inzwischen für das Hauptjugendamt arbeitet, hat Lindgren eingeladen, vor Buchhändlern über ihr Werk zu sprechen. Sie nimmt die Schriftstellerin mit auf eine Fahrt durch den zerstörten Osten der Stadt, an die sich beide noch lange erinnern.
Zurück in Stockholm, bedankt sich Lindgren auf Deutsch: "Liebe liebe süsse Frau Hartung! Sie sind also ein ganzes Erlebnis für Ihre Umgebung." Später geht die Autorin ins Englische, dann in ihre Muttersprache Schwedisch über, während Hartung auf Deutsch schreibt.
Die beiden Frauen geben sich Lektüretipps, tauschen sich über Philosophie aus, aber auch über Krankheiten, Enkelkinder, darüber, wie Lindgren durch die Führerscheinprüfung fällt, weil sie "nicht ordentlich rückwärts um Straßenecken" fahren kann - und immer wieder über Hartungs Gefühle. Sie schickt schon bald flammende Liebesbekundungen an ihre Freundin. "Wie kann ein Mensch so süß sein wie du"? fragt sie, und fürchtet, vor Sehnsucht umzukommen.
"Für Astrid war Louise nicht nur eine unterhaltende, exzentrische und poetische Stimme in der Ferne, sondern auch ein Mensch, dem sie sich (...) in den schweren, einsamen Jahren nach dem Tod ihres Ehemanns Sture Lindgren 1952 anvertraut hat", meinen die Herausgeber. Die Freundin wirft auch stets ein kritisches Auge auf die Übersetzungen von Lindgrens Kinderbüchern ins Deutsche.
Ihre Annäherungen aber wehrt Lindgren ab. Sie sei "nicht das kleinste bisschen bisexuell", schreibt sie einmal. Ihr "bäuerliches Blut" reagiere ganz altmodisch nur auf Männer. "Ich mag Dich so sehr, und wir wollen gute Freunde bleiben in all unseren Tagen, aber du darfst mich nicht idealisieren." Dass Hartung sie auf ein Podest stellt, dass eine Frau so um sie wirbt, überfordert die Schwedin.
Überhaupt fühlt sich Lindgren in den Jahren, in denen sie mit der Deutschen schreibt, oft ausgelaugt. Zwar ist sie als Kinderbuchautorin gerade in den Anfangsjahren der Brieffreundschaft enorm produktiv. Im Schreiben ist sie zu Hause, es erfüllt sie. Mit dem Druck, der mit der Berühmtheit einhergeht, kann die Schwedin aber nicht gut umgehen. Tagungen und Lesungen auf Deutsch sind ihr ein Graus. Auch das Briefeschreiben wird ihr zunehmend zur Last, obwohl sie es fleißig verfolgt. Schließlich hat sich die Autorin auch vorgenommen, jedem Kind zu antworten, das ihr schreibt.
In ihren Briefen an Hartung schwingt eine Melancholie mit, die Lesern ungewohnt sein wird, die nur Lindgrens fröhliche Kinderromane wie "Pippi Langstrumpf" kennen. "Diese kleine Melancholie trage ich seit meiner Jugend mit mir herum", schreibt sie Hartung schon im Frühjahr 1954, ein halbes Jahr nach Beginn ihrer Brieffreundschaft. Richtig unbeschwert sei sie nur als Kind gewesen, und deshalb flüchte sie sich mit ihren Romanen vielleicht immer wieder in diese Zeit zurück, analysiert Lindgren ihr eigenes Gemüt. Der Briefwechsel zeige die Autorin auch als "einsamen Wolf", meinen die Herausgeber.
Von ihrer Freundin Hartung fordert Lindgren immer wieder Aufmunterung ein: "Ich bin überanstrengt, sehr, und möchte gern ein kleines einsames Tier im Wald sein und brauche viele Worte des Trostes von Dir", fordert sie in einem Schreiben nach Berlin 1957. Den bekommt sie nicht nur in Form von vielen Worten. Lindgren wird von ihrer treuen Freundin auch mit Geschenken überhäuft, Blumen, Büchern, Weinen - "entschieden zu viel", wie die Schriftstellerin findet. Ihre ganze Wohnung sei voll von "Louisechen", schreibt sie Hartung einmal.
Im Laufe der Jahre sehen sich die Frauen einige Male in Berlin, unternehmen Reisen zusammen, und aus den Briefen ist herauszulesen, wie Lindgren anhänglicher wird - und Hartung wenn auch unverändert treu, so doch weniger schwärmerisch. Während sich Lindgren 1959 fühlt, als hätte sie "ein Übermaß an Kräften", kränkelt Hartung, kauft ein Haus in Ibiza, weil ihr das Klima auf den Balearen gut tut, der Stress im Amt nicht. "In dem Maße, in dem Louise knapper und wortkarg wird, werden Astrids Briefe ausführlicher, offener, fordernd", schreibt Antje Rávic Strubel im Nachwort zum Briefwechsel.
Das Versprechen, immer Hartungs Freundin zu bleiben, löst die Schriftstellerin ein. Erst der frühe Tod der Brieffreundin 1965 setzt der Korrespondenz der beiden Frauen ein Ende.
- Astrid Lindgren, Louise Hartung (Hrausgeber Jens Andersen, Jette Glargaard): Ich habe auch gelebt! Briefe einer Freundschaft. Ullstein Verlag, Berlin, 592 Seiten, 26,00 Euro, ISBN 978-35500-81767.