Literatur Mord und Serienkiller: Wieso wir uns für Thriller begeistern
Warum zieht uns das Böse in Thrillern an? Eine Psychologin und Bestsellerautor Sebastian Fitzek erklären, wie Angst und Spannung uns faszinieren – und was wir daraus für uns selbst lernen können.

Berlin - Sebastian Fitzek und der dänische Krimi-Star Jussi Adler-Olsen haben eines gemeinsam: Mit ihren nervenaufreibenden Thrillern erreichen sie ein Millionenpublikum. Von beiden sind gerade erst neue Bücher erschienen, die vielen Leserinnen und Lesern besonders rund um Halloween Stoff zum Gruseln bieten.
Dabei scheint es zunächst absurd, dass so viele Menschen in ihrer Freizeit freiwillig Geschichten über Killer und grausame Mordserien lesen. Warum fasziniert uns das Böse so sehr?
Einer, der es wissen muss, ist Sebastian Fitzek. Mit seinen Psychothrillern führt er regelmäßig die Bestsellerlisten an. Auch sein neues Buch „Der Nachbar“ über einen gefährlichen Stalker dürfte wieder an der Spitze landen.
Fitzek: „Wir verdrängen unsere Sterblichkeit“
„Es ist evolutionär bedingt, dass wir uns immer mit der Ausnahme beschäftigen“, sagt der Berliner Schriftsteller. Serienkiller, Axtmörder, Stalker seien nicht die Regel. Der Mensch sei im Grunde gut. „Die absolute Mehrheit hält sich an Regeln wie "Du sollst nicht töten". Aber es ist wichtig zu wissen: "Wo gehe ich lieber nicht lang?", weil dort Gefahren lauern könnten“.
Diese Beschäftigung mit der Ausnahme, sagt Fitzek, habe den Menschen das Überleben gesichert. Er findet: „Das ist auch der Grund, weshalb Medien mit nur positiven Meldungen wohl niemand lesen würde. Uns interessiert der Konflikt, der Krieg, der Unfall, Mord, Tod. Auch Liebesromane handeln von Konflikten.“
Außerdem betreffe das Thema Tod jeden: „Wir verdrängen unsere Sterblichkeit, doch irgendwann merken wir: "Ich muss mich damit auseinandersetzen." Schlagzeilen, Mord und Totschlag triggern das. Wir wollen uns im angstfreien Ambiente diesem Thema nähern, ohne uns selbst in Gefahr zu bringen“.
Faszination für das Böse reicht weit zurück
Zu einer ähnlichen Einordnung kommt die Psychologin Corinna Perchtold-Stefan von der Universität Graz in Österreich. Die Wissenschaftlerin setzt sich in ihrer Forschung mit den Fragen auseinander, wieso sich Menschen für Geschichten wahrer Verbrechen interessieren und ob dies Auswirkungen auf das Verhalten im Alltag haben kann.
Perchtold-Stefan erklärt, unabhängig davon, ob Geschichten auf wahren Begebenheiten beruhen oder fiktional sind, begleite die Faszination für das Böse die Menschen schon sehr, sehr lange. Bereits seit der Entwicklung der Sprache erzähle man sich Gruselgeschichten.
„Wie ein mentales Fitnessstudio“
Eine psychologische Theorie besage, dass die Lust an der Angst und die Lust am Gruseln tatsächlich eine Art evolutionären Sinn habe, sagt die Psychologin. „Wenn wir uns mit solchen negativen Dingen in einem kontrollierten Rahmen auseinandersetzen, den wir selbst bestimmen können, behalten wir auch die Kontrolle über unsere eigene Erfahrungswelt“.
So könne man ein Buch zur Seite legen, wenn es zu gruselig wird, oder einen Podcast kurz ausschalten und später weiterhören. „Es kann durchaus sinnvoll sein, gewissermaßen zu üben: Wie gehe ich denn eigentlich mit solchen negativen, fürchterlichen, angsteinflößenden Dingen um?“, sagt Perchtold-Stefan.
Fitzek: Leser schreiben mir, sie hätten Angst vor der Gegenwart
Die Idee dahinter sei, dass man so tatsächlich etwas Sinnvolles über sich selbst, über die Welt und die eigenen Emotionen und Gedanken lernen könne. „Wie ein mentales Fitnessstudio, in dem wir uns mit allen schlimmen Eventualitäten der Welt auseinandersetzen, um dann eben daran zu wachsen“.
Fitzek sieht Bücher auch als eine Art Hypnose. „Wenn es gut gemacht ist, ist man für Stunden in einer anderen Welt“. Das sei wichtig. „Ich bekomme in wahnsinnig vielen Zuschriften gespiegelt, dass Leser Angst vor der Gegenwart haben, die sagen: "Ich brauche etwas, was mich rausreißt aus der Gegenwart, etwas, das möglichst weit weg ist von meinem eigenen Leben, was ich aber trotzdem nachvollziehen kann."“
Deutscher Buchhandel: Krimis sind hoch im Kurs
Krimis und Thriller sind nach wie vor hoch im Kurs bei Leserinnen und Lesern. So steht etwa das neue Buch „Tote Seelen singen nicht“, das Autor Jussi Adler-Olsen mit den Autorinnen Line Holm und Stine Bolther herausgebracht hat, weit oben auf der Spiegel-Bestsellerliste.
Die Sparte Spannung sei nach der Erzählenden Literatur das zweitgrößte Segment der Belletristik, wie Thomas Koch, Sprecher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, mitteilt.
Zahlen des Marktforschungsunternehmens Media Control zeigen demnach, dass 2024 die „Unterwarengruppe Spannung“ innerhalb der Belletristik einen Umsatzanteil von 21,5 Prozent eingenommen hat. Der Krimi-Markt bewegt sich in Deutschland laut Angaben von Media Control bei knapp unter 200 Millionen Euro Jahresumsatz.
Vergangenes Jahr wurden in dem Genre rund 3.570 Bücher neu veröffentlicht. Die Popularität von Krimis und Thrillern führt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels besonders auf deren Vielfalt zurück. Die Auswahl reiche von spannungsgeladenen Thrillern bis hin zum hochliterarischen Roman. Viele Leserinnen und Lesern schätzten zudem Krimis mit Lokalkolorit, weil sie etwa aus der Region kämen, sie diese im Urlaub kennengelernt hätten oder schon immer einmal dort sein wollten.