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Pfingstrosenrot: Intelligenter Krimi mit Polit-Brisanz

Ein altes serbisches Ehepaar wird in seinem Haus im Kosovo durch Genickschuss hingerichtet. Der Vorfall verdeutlicht einmal mehr den Konflikt zwischen Belgrad und seinem ehemaligen Landesteil Kosovo. Doch schon bald lässt das Interesse an der Klärung des Falls nach.

Von Frauke Kaberka, dpa 24.02.2016, 12:38

Zürich (dpa) - Warum musste ein altes Ehepaar sterben? Es hatte nichts besessen, was man stehlen konnte. Es hatte nichts getan, das man ahnden musste. Es hatte nur das Angebot der serbischen Regierung und der EU angenommen, zurück ins Kosovo zu gehen - in die alte Heimat. Im Rahmen eines Rückführungsprogramms.

Alles sieht nach nationalistischen Gründen aus: Die Kosovo-Albaner wollen keine serbischen Rückkehrer, nachdem sie endlich ihre Unabhängigkeit vom großen Bruder durchgesetzt hatten. Doch war es wirklich so?

Nach einem empörten Aufschrei in Belgrad scheint sich wenige Tage nach dem Mord niemand mehr für die Hintergründe zu interessieren - bis auf Milena Lukin. Endlich ist sie wieder da, diese beeindruckende Frau, die in Kornblumenblau des deutsch-serbischen Autoren-Duos Christian Schünemann und Jelena Volic' 2013 ihr Debüt gab. Im neuen Roman Pfingstrosenrot lässt sich die vielbeschäftigte Kriminologin und alleinerziehende Mutter von ihrem Onkel überreden, sich mit dem Fall zu beschäftigen, denn er hatte in der alten Frau seine Jugendliebe wiedererkannt.

Und so wagt sich Milena Lukin auf mehr oder weniger unzugängliches Terrain, das sich zudem als äußerst gefährlich erweist: die Politik auf dem Balkan. Jahrzehnte nach dem Zerfall Jugoslawiens scheint sie mehr denn je von Vetternwirtschaft und Korruption durchdrungen zu sein. Und wie es aussieht, hat sich dabei auch Europa kein Ruhmesblatt verdient.

Der Fall der durch Genickschuss hingerichteten alten Eheleute ist authentisch, die Geschichte, die die seit Jahren befreundeten Volic' und Schünemann drum herum gesponnen haben, nicht. Aber sie könnte sich so oder so ähnlich abgespielt haben. Die Autoren konfrontieren den Leser mit Fragen, auf die es scheinbar keine Antworten gibt: Wohin sind die ganzen Fördermittel der EU geflossen? Wer kümmert sich um die gerechte Verteilung? Wo greifen die nationalen und internationalen Kontrollmechanismen? Ja, gibt es sie überhaupt? Welche demagogischen Winkelzüge machten aus Nachbarn und Freunden verhasste Gegner? Natürlich geht es um Geld. Es geht immer um Geld - und damit um Macht.

Tatsächlich wurde der Mord nie aufgeklärt. Im Roman findet sich allerdings eine höchst interessante Auflösung. Was Lukin mit Hilfe von Freunden (darunter gute Bekannte aus dem Vorgänger-Roman) ans Tageslicht bringt, enthält viel Wahres, das betroffen macht. Und so entsteht ein Bild Serbiens und seiner Nachbarn, das die Balkanregion in ihrer Schönheit, aber vor allem auch in ihrer Zerrissenheit und Hilflosigkeit zeigt. Es ist die Geschichte vertaner politischer Chancen, die furchtbar ist und dennoch Hoffnung in sich birgt. Denn das Kapital Solidarität, Menschlichkeit und Vernunft ist noch nicht verspielt. Und dafür ist Milena Lukin ein hervorragendes Beispiel.

Christian Schünemann aus Berlin und Jelena Volic aus Belgrad haben mit der Expertin für internationales Strafrecht eine Ausnahmeerscheinung unter den Ermittlern geschaffen. Lukin kämpft nicht gegen Windmühlenflügel - auch wenn es manchmal so aussieht. Ihre Waffen sind gute Argumente gegen das Verdrängen und für die Aufdeckung unliebsamer Wahrheiten, die den einstigen Vielvölkerstaat zersplittert und zerrüttet und vor allem unzählige Leben gekostet haben.

Tote gaben dem Roman auch den Titel: Pfingstrosen sind die Nationalblumen des Kosovo. Sie blühen in einem so unvergleichlichen Rot, weil die Erde mit Blut getränkt wurde. Auch schon vor Jahrhunderten. Eine Frage stellt sich nach der Lektüre und angesichts der aktuellen Flüchtlingssituation aber auch: Ist das Kosovo wirklich ein sicheres Herkunftsland?

Pfingstrosenrot ist ein intelligenter spannender Krimi mit großartigen Charakteren, der nicht nur über die besonderen Befindlichkeiten des Balkans, seine Geschichte und aktuelle Politik informiert, sondern wegen seiner unspektakulären Herangehensweise an eine brisante Thematik überzeugt - und fesselt.

Christian Schünemann und Jelena Volic: Pfingstrosenrot, Diogenes Verlag Zürich, 368 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-3-257-06957-0

Pfingstrosenrot