1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Buch
  6. >
  7. Literatur: Rätsel um gefälschte Umberto-Eco-Novelle

Literatur Rätsel um gefälschte Umberto-Eco-Novelle

Eine unbekannte Krimi-Novelle vom weltberühmten Schriftsteller Umberto Eco? Das kleine Büchlein „Carmen Nova“ sorgt für große Aufregung. Der Wissenschaftler Niels Penke spricht von einer sehr gekonnten Fälschung.

Von Yuriko Wahl-Immel, dpa 04.10.2023, 09:28
Der italienische Schriftsteller Umberto Eco, aufgenommen auf der 63. Frankfurter Buchmesse in Frankfurt am Main (2011).
Der italienische Schriftsteller Umberto Eco, aufgenommen auf der 63. Frankfurter Buchmesse in Frankfurt am Main (2011). Arno Burgi/dpa-Zentralbild/dpa

Siegen - Es ist eine mysteriöse Geschichte um eine Kriminalnovelle, die angeblich aus der Feder des weltberühmten italienischen Schriftstellers Umberto Eco stammt. Rund 60 Seiten umfasse die Novelle „Carmen Nova“, angefügt seien auch Vorwort, Nachwort, Notizen und Anmerkungen, schildert der Literaturwissenschaftler Niels Penke von der Uni Siegen. „Da hat sich jemand sehr viel Mühe gemacht.“

Allerdings: Umberto Eco (1932-2016) war es nicht, davon ist Penke fest überzeugt. „Es handelt sich um eine sehr gut gemachte Fälschung, von der mindestens 15 Exemplare existieren“, sagt der Forscher der Deutschen Presse-Agentur.

Als Penke Ende 2022 bei Ebay auf den vergilbten Band stieß, war er elektrisiert. Ein unbekanntes Werk des großen Autors? Schnell folgte Ernüchterung. Viele Hinweise lassen ihn gesichert davon ausgehen, dass die Seiten nicht von Umberto Eco stammen, wie der Forscher erläutert. „Das unterhaltsame und kunstvolle Erzählen eines Eco fehlt.“ Rund um die Figur der Carmen entwickele sich gar keine richtige Geschichte. „Und es ist ein übertheoretisierter Text“, findet Penke.

Zugleich stellt der Wissenschaftler fest: „Hier kennt sich jemand gut mit Eco aus.“ Der unbekannte Verfasser oder die Verfasserin müssten für eine „so gute Erfindung“ auch literarisch bewandert sein, glaubt er. Als - erfundener - Verlag sei in dem Band eine Edition Doppelnull mit Sitz in Zürich angegeben. Auch das angeblich vom französischen Schriftsteller Roland Barthes stammende Nachwort sei fingiert. Der Text enthalte zahlreiche Anspielungen auf andere Romane und Schriftsteller, berichtet Niels Penke. Die erste Auflage sei auf das Jahr 1983 datiert. Da war Ecos Welterfolg „Der Name der Rose“ im Original noch nicht lange auf dem Markt.

Was ist das Motiv der Fälscher?

Solche Fakes in der modernen Literatur sind sehr selten, sagt Penke. Der US-amerikanischen Sprachwissenschaftlerin Carole E. Chaski zufolge kommt es womöglich hin und wieder zu solchen Fälschungen, ohne dass diese bemerkt werden. Wenn solche Fälle aber auffliegen, dann werde das breit veröffentlicht, „denn dieses Verhalten ist moralisch abstoßend für Menschen, die Literatur und Ehrlichkeit lieben“, betont die Expertin. Im Hinblick auf die Motivation solcher Fälscher geht sie davon aus, dass Täter mitunter Freude daran haben, sich über andere Menschen lustig zu machen. Im Eco-Fall lasse das schon der auffällige Verlagsname ahnen.

Beim Deutschen Literaturarchiv Marbach hat sich gerade erst eine internationale Fachtagung mit der Thematik befasst. Manipulationen wie die Fälschung von Schiller-Handschriften im 19. Jahrhundert oder die gefakten Hitler-Tagebücher in den 1980er Jahren seien mit krimineller Energie verbunden, unterstreicht man dort. Zugleich gebe es eine „produktive Dimension“ bei derartigen Fälschungen, die auch eine Faszination ausübten.

Niels Penke will nichts unversucht lassen, um den Urheber des Fake-Bändchens zu enttarnen. Nach Angaben der Universität Siegen hatte man den Fall erstmals im Februar öffentlich gemacht. Seitdem schlage „Carmen Nova“ in Literaturkreisen hohe Wellen. Auch der Sohn Ecos habe sich gemeldet: Es gebe keinen Hinweis, dass sein Vater von der gefälschten Novelle gewusst habe, zitiert die Uni das Eco-Familienmitglied. Vereinzelt seien weitere Personen ebenfalls auf den Band gestoßen. Einige hätten sich an Penke gewandt - darunter einer, der das Bändchen nach eigener Darstellung zusammen mit einem Raubdruck von „Der Name der Rose“ erworben habe.

Forensische Analyse des Papiers?

„Es ist schon allerhand, dass jemand versucht, einem so namhaften Autor noch zu dessen Lebzeiten ein gefälschtes Werk unterzuschieben“, findet Niels Penke. Mehrere Optionen schweben ihm nun vor: Ein Textvergleich mithilfe digitaler Methoden - dafür bräuchte es aber zumindest Hinweise auf einen oder mehrere verdächtige Personen, die mutmaßlich am Werk gewesen sein könnten. Womöglich könne eine forensische Analyse des Papiers oder Einbands aufschlussreich sein. Er hoffe zudem, dass sich noch mehr Personen melden, die auf „Carmen Nova“ gestoßen sind - oder dass der Urheber selbst nach all den Jahren doch noch aus der Deckung kommt. Es habe auch eine tragische Komponente, dass die Fälschung so lange unbemerkt geblieben sei.

Expertin Chaski kennt einige digitale Tools und Methoden, um einer fingierten Autorenschaft auf die Spur zu kommen. So könne etwa ein spezielles Programm syntaktische Muster in dem verdächtigen Text abgleichen mit bekannten Umberto-Eco-Texten sowie mit Texten von als Fälschern infrage kommenden Autoren - also Wortkombinationen, Redewendungen oder auch Satzbau akribisch unter die Lupe nehmen, sagt sie der dpa. Hier habe sich bisher in Tests mit rund 200 Texten und 30 Autoren eine sehr hohe Treffsicherheit bei der korrekten Zuordnung gezeigt. Lohnenswert könne auch eine genaue Analyse sein, aus welchen Eco-Werken in dem Bändchen womöglich Sätze, Ausdrücke, Inhalte übernommen wurden. Sie hält es für machbar, den Autor oder die Autoren des Eco-Fakes zu überführen. „Selbst nach 40 Jahren.“