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Dreiteiliges Ballett von Carl Orff feiert im Magdeburger Opernhaus Premiere "Carmina Burana": Tänzerische Bilder, packende Mystik und knisternde Spannung

Von Rolf-Dietmar Schmidt 04.06.2012, 03:42

Minutenlange stehende Ovationen des Publikums im bis auf den letzten Platz ausverkauften Magdeburger Opernhaus, Bravorufe und Begeisterungspfiffe - das war die Premiere am Sonnabendabend des dreiteiligen Balletts "Carmina Burana" von Carl Orff.

Magdeburg l Was kann einer Ballettpremiere Besseres passieren, als dass bereits vor dem Geschehen auf der Bühne die knisternde Spannung förmlich zu spüren ist? Magdeburgs Ballettdirektor Gonzalo Galguera hat es in den zurückliegenden Jahren geschafft, diese Sparte des Theaters ins Scheinwerferlicht zu holen. Und die "Carmina Burana" ist dabei mit Sicherheit ein vorläufiger Höhepunkt. Vorläufig deshalb, weil man bei dieser Leistung des Balletts und des künstlerischen Ansatzes noch viel erwarten darf.

Ewiges Werben um Schönheit, Erotik und Leidenschaft

"Carmina Burana" war ursprünglich als Open Air auf dem Domplatz geplant. Nachdem äußere Umstände das verhinderten, stand Galguera vor der schwierigen Aufgabe, die Inszenierung nun in die räumlichen Möglichkeiten des Opernhauses einzupassen. 85 Frauen und Männer des Chores - der Magdeburger Opernchor wurde durch die Singakademie verstärkt - waren neben den Tänzern auf der Bühne, der Orchestergraben konnte die Fülle der Instrumente nicht fassen, so dass auch die Bühnenseiten genutzt werden mussten. Das alles allein technisch zu bewältigen und gleichzeitig den hohen künstlerischen Anspruch umzusetzen, das war mit Sicherheit eine Mammutaufgabe, die ohne die ganze Unterstützung des Hauses undenkbar gewesen wäre, wofür sich Gonzalo Galguera dann nach der Premiere auch bedankte.

Zwei Tanzbilder wurden der "Carmina Burana" vorangestellt. Da war die "Cuban Overture" aus dem frühen 20. Jahrhundert von George Gershwin und der "Bolero" von Maurice Ravel. Die "Cuban Overture" ist zweifellos eine Liebeserklärung Gonzalo Galgueras an seine kubanische Heimat. Gershwin hat es meisterhaft verstanden, die musikalische Ursprünglichkeit, die Latino-Wurzeln aus Rhythmus und Lebensfreude, in das 20. Jahrhundert zu übersetzen. Und genau diese spielerische Leichtigkeit vermag die Kompagnie unter Gonzalo Galguera zu vermitteln. Das ewige Werben um Schönheit, Erotik und Leidenschaft konzentriert sich hier ausnahmsweise aus der Gruppe von Tänzerinnen auf einen Mann, getanzt von Kirill Sofronov, der sich mit dieser Premiere von seinem Magdeburger Publikum verabschiedet.

Genau andersherum präsentiert sich das zweite Tanzbild nach dem weltberühmten "Bolero" von Maurice Ravel. Hier ist es Veronika Zemlyakova, die göttinnengleich im Mittelpunkt einer sich drehenden Scheibe des Begehrens alle Aufmerksamkeit der Tänzer auf sich zieht. Auch sie tanzt hier ihre letzte Premiere mit einer beinahe mystischen Ausdrucksfähigkeit, ganz dem fast schmerzhaft eindringlichen musikalischen Motiv des "Bolero" folgend.

Man kann trefflich über die unsichtbaren Linien spekulieren, die Galguera als Verbindung zwischen Gershwin, Ravel und Orff sieht. Und wäre es nur der Gedanke gewesen, den beiden Tanz-Protagonisten eine Abschiedsreminiszenz zu gewähren, es wäre Grund genug.

Orffs "Carmina Burana" ergreift seit jeher die Menschen mit einer nur schwer erklärbaren, aber packenden Mystik und einer Musikalität, die manchmal auch als "raffinierte Simplifikation" bezeichnet wird. Der Stoff geht auf mittelalterliche Lieder und Dramen zurück, die Mitte der 1930er Jahre von Carl Orff wiederentdeckt und kompositorisch sehr frei interpretiert wurden. Die eingängige Musik eignet sich hervorragend zur Umsetzung in tänzerische Bilder. Die szenische Kantate erlebte in den letzten Jahren an zahlreichen namhaften Theatern in Deutschland eine Inszenierung als Ballett. Gonzalo Galgueras Choreografie und Inszenierung reiht sich da ganz vorn mit ein. Der außerordentlich intensive Eindruck seiner tänzerischen Bilder, die mit beinahe minimalistischen Mitteln erreichte starke körperliche Wirkung - das alles ergibt eine Balance zwischen dem Chor, den Solisten, den Tänzern und der Musik, die die Inszenierung zu einem großen und gewaltigen Gesamtkunstwerk verschmelzen lässt.

Künstlerische Schwerstarbeit für den Generalmusikdirektor

Künstlerische Schwerstarbeit hatte zweifellos Generalmusikdirektor Kimbo Ishii-Eto zu leisten. Die Vielzahl der Instrumente, teilweise außerhalb des Orchestergrabens und nur über den Bildschirm mit dem Dirigenten verbunden, die Abstimmung mit dem Chor, den Solisten und den Tänzern dürfte für den erfahrenen Orchesterleiter eine Herausforderung gewesen sein. Die Magdeburgische Philharmonie bewältigte unter Berücksichtigung dieser Umstände die Aufgabe mit Bravour.

Der Magdeburger Opernchor bewies zusammen mit der Magdeburger Singakademie unter Leitung von Martin Wagner erneut seine enorme Flexibilität und Leistungsfähigkeit, auch im Zusammenspiel mit den drei Solisten Julie Martin du Theil als Sopranistin, Thomas Diestler als Countertenor und Roland Fenes als Bariton. Sie wurden in den Chor integriert, ohne ihre Eigenständigkeit zu verlieren. Allein das ist eine Aufgabe, die manch einem Chorleiter als unmöglich erscheinen mag. Martin Wagner schaffte es, und trotzdem konnte Julie du Theil brillieren.

Gonzalo Galguera ist ein herausragender Ballettabend gelungen. Wieder einmal, muss man sagen und konstatieren, dass sich die Ballettsparte des Magdeburger Opernhauses allmählich zu den Zugpferden in der Publikumsgunst entwickelt. Das liegt sicher an der künstlerischen Experimentierfreudigkeit des Kubaners, aber auch an der gelungenen Verbindung aller Sparten des Hauses, gemeinsam auf ein Ziel hinzuarbeiten - den Erfolg.