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DDR-Sportreporter Heinz-Florian Oertel wird 90

Der zu DDR-Zeiten außerordentlich populäre DDR-Sportreporter Heinz-Florian Oertel feiert am Montag seinen 90. Geburtstag.

Von Manfred Hönel 10.12.2017, 23:01

Berlin l Millionen im deutschen Osten werden sich erinnern an seine geradezu kunstvollen Sportreportagen. „Hoch soll er leben, dreimal hoch, hoch“, sang Heinz-Florian Oertel 1955 im Warschauer Stadion, als Gustav-Adolf „Täve“ Schur zu seinem ersten Friedensfahrt-Sieg hetzte.

Acht Jahre später schwelgte der Reporter am Mikrofon: „Eine Heldentat. Der große Täve Schur gibt sein Rennrad Klaus Ampler und wartet selbst auf den Materialwagen.“ Die Szene spielte sich auf den Straßen des damaligen Karl-Marx-Stadt ab. Schur kam mit einer abgehängten Truppe ins Ziel. Aber Klaus Ampler – inzwischen verstorben – gewann die Friedensfahrt.

Die Friedensfahrt lag Oertel, dem wohl besten Sportreporter deutscher Zunge, sehr am Herzen. „Ich war mit 17 bei der Kriegsmarine auf Sylt und geriet dort in britische Gefangenschaft. Krieg, schon allein das Wort macht mir Angst“, gesteht der Starreporter, der in Kollegen-Kreisen nur HFO genannt wird. 17-mal rollte er über den Course da la Paix. Der Sohn eines Webers und einer Putzfrau verstand es meisterhaft zu fabulieren. Er polierte den Sport zu einem zusätzlichen Erlebnis auf. Die Zuschauer spürten den Schauspieler und Lehrer in ihm, wenn er mit seiner Begeisterung die Menschen mitriss.

Besonders Oertels Temperament-Ausbruch bei den Olympischen Spielen 1980 in Moskau blieb den Menschen bis heute in Erinnerung. Als der Hallenser Waldemar Cierpinski zu seinem zweiten Marathon-Olympiasieg lief, schwärmte Oertel: „Liebe junge Väter, haben Sie Mut, nennen Sie Ihre Söhne Waldemar.“

Später berichtete er im Kollegenkreis: „So ein großer Tag, und Du wirst nur simplen Stuss erzählen. Ich habe in dem Moment an ein Lied von Zarah Leander gedacht, dass ich in der Moderationspausen gesummt habe. Dort heißt es ‚... er hieß Waldemar, weil es im Wald geschah‘. Dann ging in meinem Kopf etwas Merkwürdiges vor.“ Das Resultat dieser Merkwürdigkeit war die legendäre Waldemar-Episode. Später hat es den großen HFO manchmal gewurmt, wenn von seinen Tausenden Reportagen lediglich auf den Moskauer Spruch verwiesen wird. Inzwischen denkt er anders: „Lieber eine Episode als gar keine.“

Als sich Helmut Recknagel 1962 bei der WM in Zakopane von der Schanze stürzte, da begleitete Reporter Oertel den Sprung mit den Worten: „Das ist kein Sprung, das ist ein Adler-Sturzflug.“ Helmut Recknagel schwärmt noch heute: „Diese Aussage gab meinem Weltmeistertitel zusätzliches Gewicht.”

Die älteren Leichtathletik-Freunde werden schmunzeln, wenn sie sich an Montreal 1976 erinnern. Damals rannte der Finne Lasse Viren zu seiner vierten Goldmedaille. Für Oertel war das nicht nur ein finnischer Läufer, der sich da über Olympiagold freute, nein, das war „Lasse Viren, der Tartan-Elch aus dem Norden“.

„Für mich waren Sportreportagen immer mehr als bloße Verkündigungen von Ergebnissen“, sagt der Jubilar. Im Eiskunstlauf kannte der Lausitzer jeden Schnürsenkel. 1976 bei der Weltmeisterschaft in Göteborg war das sein Glück. Der Koffer mit den Unterlagen und dem Archivmaterial war auf dem Luftweg von Berlin nach Göteborg abhanden gekommen. Was tun? Oertel kramte in seinem Gedächtnis und dort muss einiges hängengeblieben sein. Damen, Herren, Paare und Tanzpaare. Jeden Tag unterhielt der Reporter fünf Stunden Millionen von TV-Zuschauern mit Geschichten um den Sport der Kufen-Könner. Christine Errath, damals Vizeweltmeisterin, fühlte sich auch ohne Archiv-Unterlagen als „Jöre von Berlin“ bestens behandelt.

Heinz-Florian Oertel verfügte über ein ganz besonderes Talent. Wenn man ihm einen Namen oder ein Wort vor das Mikro schob, flocht er daraus in Sekundenschnelle einen Strauß passender Worte.

Oertel blieb dennoch immer auf dem Teppich. Das gefiel den Menschen. Bei einer Buchlesung in Cottbus lobte er zum Beispiel die Spreewälder als die deutschen Sizilianer: „Die Frauen sind feurig und die Männer eifersüchtig. Das ist wie Lava aus dem Ätna.“ Enthusiastischer Beifall.

„Hans, der kann‘ s“, hatte Oertel fabuliert, als Hans Grodotzki 1960 in Rom die olympischen Silbermedaillen über 5000 und 10 000 m erkämpfte. Zwischen beiden Männern entwickelte sich eine Freundschaft. Nach dem Vorbild des Silvesterlaufs von São Paulo hob das Herren-Duo 1972 den Berliner Neujahrslauf aus der Taufe. „Es war der erste Neujahrslauf in Deutschland“, sagt Oertel nicht ohne Stolz. Tausende trabten durch den Friedrichshain. Jetzt setzt der SC Charlottenburg die Tradition fort.

Wenn es einen Doktor-Titel für journalistische Erfindungen gäbe – der Jubilar müsste ihn erhalten. „Schlager einer großen Stadt“, „Schlager aus Berlin“, „Von 7 bis 10 Sonntagmorgen in Spreeathen“, „He, he Sport an der Spree“ und „Porträt per Telefon“ sind Sendungen, die der Journalist Oertel erfunden hat.

Den Doktortitel holte er sich übrigens dann 1982 doch noch mit einer Promotion an der damaligen Karl-Marx-Universität Leipzig. 254 Gäste saßen dem Interviewer Oertel beim Porträt per Telefon gegenüber. Von allen Gästen hat er sich Autogramm geben lassen. „Die Wand wurde nach der Wende vernichtet“, meint der 17-malige DDR-Fernsehliebling etwas enttäuscht.

Traurig macht ihn auch, dass der DDR-Sport in Doping verstrickt war. Er meint aber auch: „Das Geld ist das schärfste aller Dopingmittel.“

Insgesamt schrieb Heinz Florian Oertel neun Bücher. Das letzte erschien 2009 unter dem Titel „Pfui Teufel“. Dabei zeichnete Oertel als Herausgeber gemeinsam mit Kristin Otto und Katarina Witt für acht Olympiabücher verantwortlich.

„Den runden Geburtstag werden wir ganz in Ruhe zu Haus in Berlin-Pankow begehen“, war von der Ehefrau des „Königs der Sportreportage“ zu erfahren.