Schriftsteller Erich Loest ist tot / Der Arbeiteraufstand 1953 war Wendepunkt in seinem Leben Der unbeugsame Chronist
"Die Geschichte qualmt noch", hatte Erich Loest einmal gesagt. Den Autor
aus Leipzig hat die deutsch-deutsche Geschichte nie losgelassen, immer
wieder hat er sie in seinen Büchern verarbeitet. Jetzt starb Erich Loest
87-jährig. Er zählte zu den bedeutenden Autoren Deutschlands.
Magdeburg. Er war auf einer Tagung des Schriftstellerverbandes der DDR in Berlin, als der Volksaufstand am 17. Juni 1953 ausbrach. Da war Erich Loest noch überzeugter Genosse, er hofft nach dem Krieg auf ein neues, besseres Deutschland. Dieser 17. Juni 1953 jedoch, so sagte er im Jahr 2005 in einem Interview mit der Volksstimme, sei für ihn ein Schock gewesen. "Dieser Tag war ein Wendepunkt in meinem Leben, ich begann nachzudenken."
Sein Weltbild war erschüttert. Er entfernte sich im Denken von der Partei, wurde immer stärker zum politisch missliebigen Autor. In der SED war er nicht mehr erwünscht, sie schloss ihn aus ihren Reihen aus. 1957 begann ein harter Leidensweg. Loest wurde wegen "konterrevolutionärer Gruppenbildung" verurteilt. Der 1926 im sächsischen Mittweida geborene Intellektuelle kam ins berüchtigte Bautzener Gefängnis. Siebeneinhalb Jahre saß Loest im Zuchthaus.
Nach Zuchthaus und Repressalien verließ er die DDR
Nach seiner Haft kehrte er nach Leipzig zurück, doch die DDR-Oberen machten es ihm schwer, in der DDR schriftstellerisch Fuß zu fassen. 1978 erschien sein autobiografisch geprägter Roman "Es geht seinen Gang oder die Mühen der Ebene" (1978), das zum Kultbuch avancierte, bis es von der Zensur gestoppt wurde. Später erzählt er in "Der vierte Zensor" von der zermürbenden Geschichte dieses Romans, der Autobiografie ist und gleichzeitig ein interessantes Stück Literatur- und Zeitgeschichte.
Die Repressalien gegen ihn gingen weiter. Loest wurde aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgeschlossen, ein Publikationsverbot folgte. Anfang der 80er Jahre, als die Situation für ihn unerträglich geworden war, verließ er die DDR. Die Wende ermöglichte ihm seine Rückkehr nach Leipzig.
Dort ist Erich Loest Donnerstagnacht gestorben. Laut Polizeiangaben hat er sich offenbar das Leben genommen. Loest soll sich aus dem Fenster der Uniklinik gestürzt haben.
Es bleiben seine Bücher, mehr als 70 soll er geschrieben haben. Deutsch-deutscher Chronist wird er genannt, geschätzt für das Unbeugsame, das Sich-treu-Bleibende. Er hat immer wieder Unrecht, Widerstand, Bespitzelung, Opportunismus und politische Verlogenheit thematisiert. Sein eigenes Erleben war ihm beste Basis dafür. "Durch die Erde ein Riss" zeigt solch einen Teil seines Lebenslaufs. Loest hat sich seine Erinnerungen ans Zuchthaus von der Seele geschrieben.
Sein Wenderoman "Nikolaikirche" wurde von Frank Beyer verfilmt
Zahlreiche Auszeichnungen hat er für seine Werke erhalten, darunter den Hans-Fallada-Preis, den Marburger Literaturpreis, zweimal den Jakob-Kaiser-Preis, 2009 den Deutschen Nationalpreis. 1996 wurde er Ehrenbürger Leipzigs.
Dort sind mehrere seiner Bücher angesiedelt, auch sein 1995 erschienener Wenderoman "Nikolaikirche". Mit dieser Geschichte einer Leipziger Familie in den unruhigen Jahren zum Ende der DDR hat Loest endgültig den deutsch-deutschen Durchbruch geschafft. Frank Beyer verfilmte den Stoff mit Barbara Auer, Ulrich Matthes und Ulrich Mühe.
Nie ließ Loest die Vergangenheit ruhen, die Vergangenheit ihn nicht. Auch der Volksaufstand von 1953, der Wendepunkt in seinem Leben, hat ihn nie losgelassen. 52 Jahre aber gingen ins Land, bis er sich an sein Projekt "Sommergewitter" (erschienen 2005) wagte. Obwohl Loest die Ereignisse in Berlin miterlebte, hat er den Menschen, die in Bitterfeld und Halle auf die Straße gegangen waren, eine Stimme gegeben. "Arbeiter, die als mutige Wortführer auftraten, gab es überall im Land, keinesfalls nur in Berlin", hatte er im Volksstimme-Interview gesagt.