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Deutschland. Dein Selbstporträt von Sönke Wortmann

Deutschland, wie geht es Dir? Aus vielen kleinen Filmchen hat Regisseur Sönke Wortmann ein Porträt destilliert - so bunt und widersprüchlich wie unser Leben.

Von Johannes von der Gathen, dpa 11.07.2016, 11:29

Berlin (dpa) - Am Anfang sehen wir ein Bügelbrett in einer schmucklosen Wohnung. Tristesse pur. Eine Frau erzählt aus dem Off, dass sie verlassen wurde und sich sehr einsam fühle. Der 20. Juni 2015 sei für sie kein glücklicher Tag.

So melancholisch beginnt Deutschland. Dein Selbstporträt, und man spürt sofort das Bemühen von Sommermärchen-Regisseur Sönke Wortmann, bloß nicht mit Hurra-Stimmung und zuviel Euphorie in den Film einzusteigen.

Wie ticken die Deutschen? Was bedeutet für sie Glück, wovor haben sie Angst? Auf diese Fragen antworteten im vergangenen Jahr tausende Menschen am 20. Juni mit kleinen Videoclips und Handy-Filmchen, die Regisseur Wortmann - notgedrungen subjektiv - als Grundlage für seinen abendfüllenden Porträtfilm dienten.

Entstanden ist eine durchaus kurzweilige, mitunter anregende Collage deutscher Befindlichkeiten, die an das von Ridley Scott produzierte Real-Life-Format Life in a Day von 2011 anknüpft.

Wie kann man von einem verregneten Sommertag im Juni erzählen, ohne lediglich eine willkürliche Ansammlung von Clips zu präsentieren? Bereits im Vorfeld hat das Filmteam ein paar Leute aufgespürt, die etwas ausführlicher von ihrem Alltag, ihren Hoffnungen und Sehnsüchten berichten. Wir lernen den Justizvollzugsbeamten kennen, der im Rollstuhl sitzt und dennoch glücklich ist, dass er seinen Job ausüben kann.

Oder den etwas schrulligen Flug-Enthusiasten, der im Mini-Flieger über die Brandenburger Seen fliegt und dabei seinen inneren Frieden findet. Oder die wackere Kämpferin für das Grundeinkommen, die mit Klampfe und selbstgedichteten Liedern vor einer Handvoll Leuten in der Fußgängerzone auftritt. Sehr lustig ist das knauserige Feinschmecker-Ehepaar, das auch Loriot erfunden haben könnte.

Daneben steht die Flut von Clips, in denen zumeist junge Leute sich mehr oder weniger gekonnt in Szene setzen. Freizeit und Sport stehen ganz oben auf der Agenda, die Arbeitswelt kommt in diesem Porträt eines Landes eher am Rande vor. Großraumbüros oder Behördenkorridore sucht man vergebens. Viele Menschen sind dankbar für die Sicherheit im Land und das Gesundheitssystem, Politik interessiert eher am Rande.

Schon verwunderlich, dass Werte wie Demokratie oder unsere freiheitliche Grundordnung im Wertekanon vieler kaum eine Rolle spielen. Dafür taucht dann der obligatorische Öko mit seiner Komposttoilette auf, und einen Rechten gibt es auch.

Natürlich ist Wortmanns Porträt alles andere als repräsentativ. Bildungsbürger scheint es in Deutschland nicht mehr zu geben, was vielleicht aber auch daran liegt, dass Kulturmenschen eher selten Handy-Filmchen produzieren. Zum Ende hin erzählt ein Asylbewerber, der seit vielen Jahren hier lebt, aber immer von Abschiebung bedroht ist, von seinen Träumen.

Und auch an Wortmanns Sommermärchen zur Fußball-WM 2006 in Deutschland wird noch einmal erinnert. Damals wurde das Land von einer Welle der Leichtigkeit und Unbekümmertheit erfasst - cooles Deutschland. In dem neuen Film spürt man nun aber auch, wie weit wir in Zeiten des Terrors von dieser Lebensfreude inzwischen entfernt sind.

Deutschland. Dein Selbstporträt, Deutschland 2016, Regie Sönke Wortmann, 99 Min., FSK ab 6

Deutschland. Dein Selbstporträt