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Premiere für die "Dreigroschenoper" in Magdeburg / Viel schauspielerischer Witz "Die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht"

Von Caroline Vongries 13.02.2012, 04:37

"Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?" Diese berühmte Frage stellte sich wieder einmal bei der Premiere der "Dreigroschenoper" im Opernhaus Magdeburg.

Magdeburg l Den Strick schon um den Hals bringt Capt\'n Macheath, besser bekannt als Mackie Messer, seine Fragen an eine herzlose Gesellschaft auf den Punkt. Eine Welt, in der derjenige am erfolgreichsten ist, der den anderen am schamlosesten instrumentalisiert und ausbeutet. Für Brechts Zeit werden solche Sätze ("Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie?") in der schon nach einem Jahr folgenden Weltwirtschaftskrise bittere Realität. 90 Jahre später im 21. Jahrhundert wirken sie angesichts einer zunehmend ethikfreien (globalen) Finanzwelt wiederum fast unheimlich treffend.

Doch zumindest, was die Aufführungssituation anbelangt, ist die Sachlage heute völlig entgegengesetzt: Vor der Erstaufführung im Theater am Schiffbauerdamm 1928 hatte die Berliner Lokalpresse Stimmung gegen das "völlig unzugängliche Stück" des neuen Theater-/Musikduos Brecht/Weill gemacht.

Am Freitagabend in Magdeburg hingegen ist die Stimmung im Opernhaus freudig gespannt - wie vor dem Wiedersehen mit guten alten Bekannten. Schließlich sind die Songs legendär, die Dreigroschenoper das erfolgreichste Stück des 20. Jahrhunderts, an dem sich nicht gerade wenige von Rang und Namen, versucht haben - von Lotte Lenya, Hildegard Knef, Nina Hagen bis Hans Albers, Ulrich Tukur, Mario Adorf, Max Raabe. Diese großen Vorlagen kann man auch im eigenen Kopf nicht ohne Weiteres ausblenden. So ist es ein Wagnis, ausgerechnet diesen Stoff an einem Haus wie Magdeburg zu stemmen, mit dem bestehenden Ensemble und - und wie von Brecht gefordert - mit Schauspielern, die sich die (äußerst anspruchsvollen) Gesangspartien aneignen müssen.

Vielleicht ist dies allein im Zeitalter eines allenthalben waltenden Perfektionismus schon revolutionär genug. Alles in allem kann man die erste Musiktheaterinszenierung von Schauspieldirektor Jan Jochymski in Magdeburg als gelungen bezeichnen - mit ein paar Abstrichen. In jedem Fall besticht sie durch schauspielerischen und dramaturgischen Witz, rasante Choreografien, temperamentvoll arrangierte Musik (Leitung: Maria Hinze), respektable bis beeindruckende Gesangsleistungen und ein atmosphärisch starkes Bühnenbild (Christiane Hercher).

Am Schluss ist jeder ein Rädchen im Getriebe

Jonathan Peachum (Stefan Ebeling), kassiert ab, indem er - geniale Geschäftsidee - Sozialschwache zu Bettlern und Krüppeln ausstaffiert. Der andere, Macheath (Sebastian Reck) ist Zuhälter und Chef einer Räuberbande. Der Punkt, an dem sich die Welten beider räuberischer Unternehmertypen brechen, heißt Polly (Heide Kalisch) und ist Peachums einzige Tochter, die ausgerechnet Mackie liebt.

Nicht, dass Vater Jonathan besorgt um das emotionale Wohl seines Kindes wäre, doch Peachum kann auf Pollys Attraktivität betriebshalber nicht verzichten. Nur deshalb kämpfen er und seine Frau Celia (Babette Slezak) mit allen Mitteln gegen Macheath. Letztlich kann leider auch Mackies Kamerad aus Kriegszeiten der korrupte Polizeichef Tiger Brown (Axel Strothmann) irgendwann nicht mehr helfen. Und auch die Huren (allen voran Michaela Winterstein als Spelunken-Jenny) verraten ihren einstigen Herrn.

Am Schluss ist jeder ein Rädchen in dem Getriebe, das auf Macheaths Hinrichtung zuarbeitet, auch die Zuschauer, die dazu den Strick liefern (müssen).

Nun geht die Sache unverhofft doch gut aus, denn Brecht hat im Finale einen königlichen Boten eingebaut, durch den Macheath im letzten Augenblick gerettet wird. Die eigentlich groteske Wendung, dass Mackie noch eine hohe Rente auf Lebenszeit erhält, bekommt in der heutigen Zeit hoher Manager- und Politiker- abfindungen noch einen eigenen Beigeschmack.

Und doch sind diejenigen, die da am Schluss Beifall klatschen und diejenigen, die beklatscht werden, genauso Teil des geschilderten Mechanismus von Sachzwängen: "Ja das ist eben schade ... die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht." Zu guter Letzt bleiben die Dollarzeichen, die aus dem Maul eines riesigen Kuschelhaifisches leuchten. Und aus dem Maul der Bestie ragen spitz die Logos der großen Finanzinstitute.