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Das Nordharzer Städtebundtheater inszenierte in Thale den Klassiker "Charleys Tante" Ein Feuerwerk der Verwechslungskomödie

Von Hans Walter 18.06.2012, 03:35

Der 120 Jahre alte Klassiker "Charleys Tante" von Marcus Everding nach Brandon Thomas ist Vergnügen pur. Im Bergtheater Thale feierte die Inszenierung von Rosmarie Vogtenhuber für das Nordharzer Städtebundtheater am Sonnabend ihre umjubelte Premiere.

Thale l Die Österreicherin Vogtenhuber, seit Jahren höchst erfolgreich mit den Nordharz-Schauspielern zugange, machte mit ihrer Ausstatterin Bianca Fladerer und Dramaturg Sebastian Fust das, was sie immer macht: Sie nimmt das heitere Stück und seine Protagonisten ernst! Dadurch werden Witz und Situationskomik und die zweite Ebene des harten Loses des Dieners Brassett (Benedikt Florian Schörnig) wundervoll ausgespielt.

Die Neubearbeitung von Marcus Everding ist schärfer als das verplüschte Original. Er siedelt die Geschichte im Jahr 1912 an, dem Jahr des Untergangs der "Titanic"; die Rolle des Lord Babberly lässt er in der des Dieners Brassett aufgehen.

Das Anwesen des mittellosen Junggesellen Jack Chesney (Markus Manig) ist ein Hochsicherheitstrakt. Sein Reich ist ein grünes Labyrinth mit gestutzten Hecken-Schäfchen, einem Rosengärtchen und seinem Zimmer ganz in Rot. Die fantasievollen Kostüme schaffen genaue Sozialisation.

Sinnreich verspielte Erfindungen der Ausstatterin - wie eine Sprachrohr-Wechselsprechanlage nebst Rohrpost - ermöglichen die Kommunikation zwischen dem Diener und dem liebenswert verzogenen jungen Herrn in kurzen Hosen. Und der erfindet - in Ermangelung der echten reichen Tante Donna Lucia d\'Alvarez aus Brasilien - für sich und seinen Freund, den reichen Charley Wykeham (hervorragend Gregor Faubel in seiner ersten Rolle am Städtebundtheater), gerade eine neue: "Charleys Tante".

Sie wird als Anstands-Wauwau gebraucht für die Begegnung der beiden pubertär heiratswütigen Lausbuben mit zwei vergickerten Mädchen, nämlich Anny Spettigue (Susanne Rösch) und Kitty Verdun (Julia Siebenschuh). So streng waren im nachviktorianischen merry old England mal die Bräuche!

Diener Brassett - der eigentlich beim Fest der Londoner Dienerschaft die Queen Mum geben wollte - kommt da gerade recht. Benedikt Florian Schörnig ist umwerfend komisch als Tante wider Willen. Am schlimmsten ist, wie ihm zwei Herren - der verwitwete Sir Chesney, Jacks Vater (Joachim Kielpinski) und Spettigue (Arnold Hofheinz), Vormund und Onkel von Anny und Kitty, hinterherhecheln. Ein grandioses Feuerwerk der Verwechslungskomödie und der schnellen Brassett-Umzüge. Ein Sonderlob den Ankleiderinnen, die blitzschnell zwischen Dienerrobe und BH, Kleid, Perücke und Stöckelschuhen wechseln müssen.

Kluge Regie mit Tempo, Charme und Rhythmus

Dieser Brassett ist ein Paradestück für Schörnig. Er ist Mann durch und durch. Er spielt keinen Transvestiten, keine Schwuchtel - womit man oft wohlfeile Gags im Film und auf der Bühne bietet. Hinreißend zu erleben, wie er dank Regisseurin Vogtenhuber in den letzten Jahren in Halberstadt an Profil gewonnen hat - als Lehrer Klamm in seinem Krieg gegen die Schüler, jetzt als "Charleys Tante", demnächst in Süskinds Monodrama "Der Kontrabass". Hier wird ein großes schauspielerisches Talent ausgeformt.

Vogtenhubers kluge Regie hat Tempo, Charme und Rhythmus. Sie jagt ihre acht Schauspieler mit großartiger Kondition über die Höhen bis zu den unterirdischen Kellergängen des Bergtheaters. Und durch die Zeiten. Sie strukturiert das Stück musikantisch. Sie inszeniert die Pausen zwischen den Dialogen. Ihre Akteure heimsen dafür Szenenbeifall ein, etwa nach der Ankleideszene von Jacks Vater, nach dem Tänzchen zu "Thank You, Madam", nach dem Spiegelbild von Jack und Charley, nach dem Meisterschuss-Auftritt der echten Donna Lucia d\'Alvarez (Illi Oehlmann) zu Klängen von "Brazil". Selbst Intendant Johannes Rieger wird eingespannt - als humorvoll parlierender Erzähler aus dem Off.

Der Schluss gehört Schörnig und Hofheinz - mit dem Zitat "Nobody is perfect" aus Billy Wilders Film "Manche mögen\'s heiß" und Paul Ankas Musik "You Are My Destiny". Du bist meine Bestimmung - ein Muss für alle Besucher!

Weitere Aufführungen am 20. Juni sowie am 14., 22. und 28. Juli und am 4. August jeweils ab 15 Uhr im Harzer Bergtheater Thale.