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Premiere für "Jekyll & Hyde" in Quedlinburg Ein großes Erlebnis für alle Sinne

19.09.2011, 04:40

Mit dem Kammerballett "Jekyll Hyde" nach Motiven von Robert Louis Stevenson gelang dem Choreografen Jaroslaw Jurasz und seiner kleinen Tänzertruppe erneut ein großer Wurf. Sieben Minuten Bravorufe und rhythmischer Applaus am Freitag in der Neuen Bühne Quedlinburg!

Von Hans Walter

Quedlinburg. Wieder einmal bewährt sich die Zusammenarbeit der Ausstatterin Kordula Kirchmair-Stövesand mit dem fabulierfreudigen Ballettmeister Jurasz. Die geheimnisvollen nächtlichen Häuserschluchten Londons rücken mit Versatzstücken und Schwarzweiß-Projektionen ins Bild.

Dazu tritt die Silhouette eines männlichen Kopfes in Schwarz und Weiß, ergänzt durch sparsamste Accessoires, wie den Laboratoriumstisch des Wissenschaftlers Dr. Jekyll. Das genügt, um die Symbolik eines faustischen Mannes zu zeigen, der beide Eigenschaften in sich vereint: Er ist in seinem Erkenntnisdrang wie Faust und in seiner Entdeckung des Bösen zugleich wie Mephisto. Eine ganz besondere Ausformung des Themas, eben "Jekyll Hyde".

Diese schillernden, aufregenden Charakterzüge in einem Menschen zu zeigen, bedarf es der Persönlichkeit eines außergewöhnlichen Solisten. Jurasz hat sie mit dem Ausnahmetänzer Daniel James Butler gefunden. Er vermag die Spaltung der menschlichen Seele in Gut und Böse zu zeigen. Die innere Zerrissenheit, die sich immer weiter steigernde Grausamkeit, aus der es am Schluss nur einen Ausweg gibt: den Tod als Rettung.

Butler ist fulminant in dieser Rolle, die ihn in den Mittelpunkt der auf wesentliche Episoden reduzierten Novellenhandlung stellt. Die Begegnung mit den psychisch Kranken in der Nervenklinik seines Freundes Dr. Lanyon (Jaume Bonnin), die Liebe seiner Verlobten Millicent Carew (Tiana Lara Hogan), die Begegnung mit der Hure Miss Gina (Judith Speckmaier). Zwischen diesen Polaritäten entwickelt Jekyll seine Droge und testet sie an sich selbst, bis er seine zuckenden Hände nicht mehr beherrschen kann. Er wird zum mehrfachen Mörder in der nächtlichen Welt. Er muss töten, was er eigentlich doch liebt – die Hure Gina, ihr Umfeld, seine Verlobte Millicent.

Kordula Kirchmair-Stövesand schuf einprägsame, tanzbare Kostüme, von denen der Gesellschaftsanzug Jekylls/Hydes das herausragendste ist: Ein Wendejacket zeigt den Gesellschaftstiger Jekyll im schwarzen Anzug, der sich blitzschnell in das reißende Raubtier in flammendem Rot verwandeln kann.

Butler zeigt dazu zwei Körperlichkeiten. Den innigen Pas de deux mit Sprüngen, Drehungen, Hebungen und Spitzentanz mit Tiana Lara Hogan. Das ist das konventionelle bürgerliche Leben. Und den rasend schnellen, expressiven Wirbel um Judith Speckmaier, eine zu Beginn sado-masochistische Beziehung. Geheimes elektrisierendes nächtliches Leben voller Reiz und Sehnsüchte.

"Wenn du zum Weibe gehst, vergiss die Peitsche nicht" – so ein von Friedrich Nitzsche abgewandelter Satz aus der Bibel. Doch rasch entgleitet es der verstandesmäßigen Kon- trolle. Beide Tänzerinnen sind Butler hier im technischen Können und Ausdruck ebenbürtige Partnerinnen. Fast ebenso präsent wie sie ist das stark in wechselnden Rollen geforderte Corps de Ballett. Großartig!

Musikalisch sind die Welten klar geschieden. Mozart und Gluck für den bürgerlichen Jekyll. Beunruhigende, nervöse Klänge für die Hyde-Welten von Michael Rossoll, Stephan Peiffer, Mario C. Schmidt, David Osten, Elischa Kaminer und Jonathan Meyns; teilweise entstanden diese Musiken in den Kompositionswettbewerben des Landesmusikrats Sachsen-Anhalt und den Halberstädter Orchesterwerkstätten.

"Jekyll Hyde" – das ist Tanz in unterschiedlichsten Ausformungen, Literatur und neue Musik auf der Bühne. Ein großes Erlebnis für alle Sinne!