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"Lebensreise" Ein Liedermacher zieht Zwischenbilanz

Der Liedermacher Hans-Eckardt Wenzel zieht mit seinem Album „Lebensreise“ Zwischenbilanz.

Von Thomas Klatt 29.02.2020, 23:01

Der Laden lässt sich nicht mehr zusammenhalten“, sagt Hans-Eckardt Wenzel. So beginnt seine Kamenzer Kanzelrede in der Kirche St. Annen, die die sächsische Stadt alljährlich an einen Autor vergibt. Dass diese Ehre im Herbst 2019 einem Liedermacher zuteil wird, ist so ungewöhnlich nicht.Wenzel ist die klassische deutsche Literatur nicht fremd.

Viele Jahre lang hatte er sich mit den „Alten“ wie Goethe, Lessing und Heine beschäftigt. In Kamenz ist er damit in guter Gesellschaft: Friedrich Schorlemmer, Eva Menasse und Volker Braun sprachen hier schon über Lessing und darüber, was er uns heute zu sagen hätte.

„Sing den Trotz dir aus der Kehle. Gib dich nicht geschlagen. Kotze dir nicht deine Seele. Deine Seele aus dem Magen.“

Was Wenzel mit dem „Laden“ meint, ist bald erkennbar: Die Gesellschaft funktioniert nicht mehr, sie bricht auseinander. Ein Land in der Hand von Parteien und Lobbyisten, von Bürgern und Wutbürgern, von Reichsbürgern und Bürgerwehren, Fangruppen und Impfgegnern, Nazis und Naturfreunden, angetrieben von großer Wut und dummem Hass, die sich in den sozialen Medien austoben. „Unsere Hilflosigkeit gegenüber dem Zerfransen der Welt offenbart“, so Wenzel, wie sehr uns das Instrumentarium der Vernunft abhanden gekommen ist. Die Vernunft, kaum noch unterscheidbar von der Unvernunft, war auch Lessings Thema. Im Jahr 1780 hatte der in Kamenz geborene Aufklärer, Generationen von Lesern bekannt durch seine „Ringparabel“ aus dem „Nathan“, an die Vernunft appelliert. Die Vernunft sollte eine ordnende Basis schaffen, um Mangel und Entbehrung zu überwinden.

Diese Sehnsucht nach dem Vernünftigen zog den jungen Dichter Hans-Eckardt Wenzel trotz manch unrationeller lyrischer Ausflüge frühzeitig an. Im Jahre 1986 erschien im Mitteldeutschen Verlag sein Gedichtband „Antrag auf Verlängerung des Monats August“. In diesem Gedicht, das dem Band den Titel gab, wünscht der gebürtige Kropstädter sich, dass der August noch etwas dauern möge, dann wäre der 1. September 1939 möglicherweise nicht zum Beginn des Zweiten Weltkriegs geworden.

Seit diesen Tagen ist viel geschehen. Wenzel wurde nach dem Studium der Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin einer der bekanntesten Poeten des deutschen Ostens. Mehr als 40 Alben hat er besungen, über 500 Lieder geschrieben, hat sich mit Dichtern wie Theodor Kramer und Johannes R. Becher befasst, Kinderlieder produziert und Bücher geschrieben. Gemeinsam mit seinem Freund Steffen Mensching tourte er zu Endzeiten des Ostens als Clowns mit kritischen Programmen durch die Klubs. Im Herbst 1989 initiierte er mit anderen Musikern die Protest-Resolution, in der Künstler die DDR-Führung aufforderten, Reformen einzuleiten. Die Clowns-Nummer mit Mensching war einer der künstlerischen Höhepunkte im Wendeherbst 1989.

Was hat sich geändert in 40 Jahren politischen Bühnenlebens? Würde eine satirische Clowns-Nummer nicht auch passen auf die heutigen Verhältnisse einer unvernünftigen Gesellschaft? Wichtig sei doch vielmehr, so Wenzel, dass Leute ins Konzert kommen, dass sie – ähnlich wie zu DDR-Zeiten – zusammen stehen, an denselben Stellen lachen oder traurig sind, und merken, dass sie nicht allein sind im Zweifel an der Welt. Was man bewirken könne, ist die Aufhebung von Einsamkeit.

„Doch die Formen ändern sich“, sagt Wenzel. Das Musikalische sei oft klüger als das Wort allein. Das liege zum Teil auch an seiner veränderten Arbeitsmethode: Seit einiger Zeit hat sich die Produktionsweise verändert. „Ich komponiere erst und finde dann die Worte. Manchmal suche ich wochenlang nach dem richtigen Wort weiß erst dann, in welche Richtung der Song geht“.

„Halte dich von den Siegern fern“, heißt es in einem Wenzel-Song. Warum fernhalten? Muss man nicht näher heran an jene, die die Welt ruinieren? Sie kritisch unter die Lupe nehmen mit Text und frechem Lied? Mag sein, aber gemeint ist es anders:  Neue Gedanken werden nicht im Zentrum der Macht gedacht, sondern immer am Rand. Der Rand ist für Wenzel die interessantere Zone. Dezentrales Denken ist für Wenzel eine politische und kulturelle Herausforderung.

Ob er den europaweiten Greta-Hype einer jungen Generation begrüße? Es sei immerhin besser als Abwarten und Nichtstun. Und vielleicht entstehe da etwas Neues, eine weltweite Bewegung, die auf ihre Weise Veränderungen herbeiführen könne – getragen von dem Hölderlin’schen Gedanken, der bei Gefahr auch zugleich das Rettende sieht.

Doch die Hoffnung hat es schwer in einer Zeit, die von der Ökonomie bestimmt wird: Politik, die dem Einzelnen suggeriert, er sei schuld an seinem Versagen, an seiner Arbeitslosigkeit, an seinen Krankheiten. Der ökonomische Druck sprenge den Rest eines sozialen Zusammenhalts auf, so Wenzel. Wir würden die kriegerischen Situationen der äußeren Welt in unseren Alltag übernehmen, in den Umgang mit Schwächeren und Andersdenkenden. Effizienz ist keine dem Menschen innewohnende moralische Kategorie.

Da ist er wieder bei Lessing. Das Bewusstsein, dass wir alle zu einer Gattung gehörten, sei erodiert. Lessing hatte es noch. Gemeinsam mit der Autorin und früheren Grünen-Politikerin Antje Vollmer beschäftigte er sich unlängst mit dem Leben eines anderen deutschen Regisseurs: Konrad Wolf. Welch zersplittertes Leben, welch Unvernunft und zugleich welche Hoffnung prägten das Leben eines der bekanntesten DDR-Regisseure?

Sein Vater Friedrich Wolf war einer der populären, deutschen Schriftsteller vor dem Zweiten Weltkrieg. Werke wie „Zyankali“ und „Professor Mamlock“  hatten eine riesige Leserschaft. Die „Weihnachtsgans Auguste“ wird noch heute in der Vorweihnachtszeit gelesen und gespielt.

Sein Sohn Konrad kommt in den letzten Kriegsmonaten als Soldat mit der Roten Armee nach Deutschland, ist unter den Befreiern des Konzentrationslagers Sachsenhausen und wird kurzzeitig Stadtkommandant von Bernau.

In seinen Filmen spürt er der Möglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens zwischen Russen und Deutschen nach – ungewöhnlich nach diesem Weltkrieg, der etwa 27 Millionen Russen und sechs Millionen Deutschen das Leben kostete.

„Ein Krieg hat einen Hinweg und einen Rückweg, und wenn ein solcher Krieg zurückrollt, erschlägt er die kleinen Leute öfter als die großen Leute.“

Der Grundkonflikt des Buches „Konrad Wolf“ ist auch der Grundkonflikt der DDR-Künstler: Wie viele Kompromisse sind machbar und wo hören sie auf? Beim Kahlschlag-Plenum der SED im Jahre 1965 landen acht DDR-Filme im Giftschrank oder werden verboten. Konrad Wolf, einflussreicher Filmemacher, kann es nicht verhindern. In der Biermann-Affäre 1976 – Konrad Wolf war Akademie-Präsident der DDR – quält er sich mit einer eigenen Meinung zur Ausbürgerung des Liedermachers und findet, innerlich zerrissen, keine klare Position.

Doch es sind nicht nur diese Widersprüche, die Wenzel umtreiben. In seiner Doppel-CD „Lebensreise“ finden sich meistens bekannte Lieder. Gemeinsam mit seiner Band und musikalischen Gästen hat er sie live Open Air in Kamp am Oderhaff aufgenommen. „Songs verändern sich über Jahre wie Kieselsteine“, sagt Wenzel. Überflüssige Ecken werden abgeschliffen. Und manchmal führen Lieder auch ein eigenes Leben.

Und manchmal blitzt bei Wenzel der Satiriker durch. Als die Band beim Lied „sibirische Liebe“ leicht ironisch einen Kosakenchor imitiert, muss Schlagzeuger Stefan Dohanetz kichern. Wenzel: Ruhe! Der Feind lacht nicht!

Was Wenzel kann, wird in diesem Album noch einmal deutlich: Melancholie ohne Weinerlichkeit, Gesellschaftskritik ohne Agitprop. Auch dass die CD drei Weinlieder enthält, ist kein Zufall. Auf dem Eintages-Festival in Kamp ist Wein – zumeist Grüner Veltliner und Blauer Zweigelt – keine Mangelware.