Bruno Berger-Gorski inszeniert Verdi-Oper "Don Carlos" am Opernhaus Magdeburg Eine Bühne als schwarzer Seelenraum
Das Theater Magdeburg startet am Sonnabend mit der Verdi-Oper "Don Carlos" in seine neue Spielzeit. Bruno Berger-Gorski führt Regie. Grit Warnat hat mit ihm über die Historie der Oper und seine Ideen für seine Inszenierung in Magdeburg gesprochen.
Volksstimme: Ursprünglich waren für die Oper fast fünf Stunden veranschlagt. Verdi kürzte immer wieder. Er soll sich 20 Jahre mit Don Carlos beschäftigt haben. Sie bringen die vieraktige italienische Fassung von 1884 auf die Bühne. Welche Vorteile hat sie?
Bruno Berger-Gorski: Es ist schließlich die letzte Fassung und wir sind davon überzeugt, dass Verdi nicht nur theaterpraktisch gedacht hat, sondern auch nach der größtmöglichen dramatischen Verdichtung für den Stoff gesucht und diese wohl auch gefunden hat. Natürlich hat auch die fünfaktige Fassung ihren Reiz, sie ist aber eher episch. Das ist für das Publikum wesentlich schwieriger.
Volksstimme: Fehlen wichtige Handlungsstränge?
Berger-Gorski: Nun ja, es fehlt der ganze erste Akt, der in Fontainebleau spielt und uns den Beginn der Liebe zwischen Don Carlo und Elisabeth zeigt. Aber diese Szene wird trotzdem in einer Arie erwähnt. Und die Verkleidungsszene mit Elisabeth und Eboli, durch die Don Carlo die beiden Frauen verwechselt und irregeführt wird, deuten wir mit einem Schleier an. Diese Streichung ist schon eine Herausforderung für den Regisseur.
"Auf jeden Fall ist es eine politische Oper, eine sehr politische sogar"
Volksstimme: Sie inszenieren "Don Carlos" nicht zum ersten Mal, sie haben sich viel mit dem Stück beschäftigt. Wissen Sie, was Verdi selbst über die verschiedenen Fassungen dachte?
Berger-Gorski: Verdi hat auf die Pariser Oper, wo die Uraufführung stattfand, geschimpft. Sie war für ihn eine Fabrik, in der alles nach festgefügten Regeln ablaufen musste. Dem hat sich Verdi nur widerwillig gefügt. Er war ein politisch denkender Mensch, der sich eigentlich nach solchen Auflagen nicht richten wollte.
Volksstimme: Sie haben gerade den politisch denkenden Verdi angesprochen. Bei "Don Carlos" geht es um zwischenmenschliche Konflikte, aber auch um Macht, um Kritik an der Kirche. Ist es für Sie eine politische Oper?
Berger-Gorski: Auf jeden Fall, eine sehr politische sogar. Sie hat drei Ebenen: die historische, die Schillersche, die Verdische. Philipp II., Elisabeth und Don Carlo haben gelebt. Der historische Don Carlo wurde von seinem Vater bei lebendigem Leibe eingemauert. Don Carlo ging in diesem Turmzimmer elendig zugrunde. Philipp II. war ein Herrscher, der nicht nur gegen seinen Sohn vorging, sondern ein Dekret unterschrieben hatte, dass Flandern als Gesamtvolk niedergemacht werden soll. Es ging dabei nicht gegen eine ethnische oder religiöse Gruppe, es ging um das Volk, um Frauen, Kinder. Es war ein unglaubliches Abfackeln und Abschlachten. Und als es um das Thronerbe ging, hat Philipp einfach verbreiten lassen, sein Sohn wäre gesundheitlich nicht in der Lage, die Macht zu übernehmen. Es gibt widersprüchliche Berichte zu seinem Gesundheitszustand, aber Don Carlo hatte eigene, freie Gedanken. Sein Vater hat ihm viel versprochen, aber ihn entgegen seiner Absprachen immer kleingehalten.
Volksstimme: Die Literarische Vorlage stammt von Schiller. Er hat daraus das bekannte Drama geschrieben. Es geht um diesen Freiheitsgedanken.
Berger-Gorski: Diese freien Gedanken des historischen Don Carlo werden bei Schiller dem Freund, dem Marquis von Posa, angedichtet. Bei Verdi kämpft auch Don Carlo, durch Posa beeinflusst, für die Freiheit des flandrischen Volkes. Ich habe "Aida", "Macbeth", "Trovatore" und "Nabucco" von Verdi inszeniert. In all diesen Opern gibt es einen Chor der "Unterdrückten" beziehungsweise eine Revolution gegen die herrschende Klasse.
Volksstimme: Knüpfen Sie in Ihrer Inszenierung an die heutige Zeit an?
Berger-Gorski: Oh ja, wir haben uns intensiv Gedanken darüber gemacht, wie man die Machtstrukturen der Oper in eine Welt, in der die Kirche niemanden mehr verbrennt und auch sonst an Bedeutung verloren hat und in der die Macht wohl gar nicht mehr in den Händen der politischen Führer liegt, übertragen können. Wir sind auf eine mafiose Gesellschaft gekommen, die sich halb historisch, wie in der Gothic-Szene, kostümiert und einen dem Spanien Philipps unter der Fuchtel der Inquisition ähnlichen Todeskult pflegt.
Volksstimme: Das hört sich recht modern an.
Berger-Gorski: Wir sind nicht zu modern. Wir haben einen schwarzen Kirchenraum. Für mich war er von Anfang an das Gefängnis, für das Publikum ist es vielleicht eine normale Kirche. Es ist ein schwarzer Seelenraum, den jeder für sich interpretieren kann. Für mich zum Beispiel ist es auch ein Raum der Macht.
Volksstimme: Die Oper hat einen dunklen Ton. Liegt das an den recht hoffnungslosen menschlichen Beziehungen?
Berger-Gorski: Ich denke, es liegt vielmehr an den Schauplätzen in dem damals so strengen Spanien mit den einengenden Hofzeremonien. Don Carlo ist grausam gestorben, es gibt viel Leid und Tragik. Das Ganze ist düster, es ist schwarz. Ja, es ist eine der düstersten Opern.
Volksstimme: Es gab deshalb schon Bühnenbilder als Blackbox, aber auch als weißen Raum. Wie bringen Sie Gefängnis, spanischen Hof und Kirche auf die Bühne?
Berger-Gorski: Wir spielen in einem Einheitsraum, der sich für jede Szene ändert. Die Oper beginnt an der Grabstätte von Karl V., dem Großvater von Carlo, und endet auch dort. Es ist ein schwarzer Raum mit Kirchenfenstern und Grabplatte. Wir wollen damit die Macht der Kirche zeigen. Alles wirkt wie ein Gefängnis. Es ist sehr schwarz. Dieses Bühnenbild habe ich zusammen mit dem tschechischen Bühnenbildner Daniel Dvorák entworfen. Es wurde für diese Produktion vom Nationaltheater Brno gebaut, die Kostüme in Magdeburg gestaltet und hergestellt. Dieser "Don Carlos" ist eine Zusammenarbeit mit dem Nationaltheater Brno, mit dem das hiesige Haus für diese Opernproduktion eine Kooperation eingegangen ist. In zwei Jahren wird Don Carlos mit dieser Bühne und diesen Kostümen dann in Tschechien aufgeführt. Das spart beiden Häusern Geld.
"In Magdeburg haben wir eine ideale Besetzung"
Volksstimme: Sie haben zuletzt vor dem großen Theaterbrand hier am Haus inszeniert. Das ist lange her. Längst führen Sie weltweit Regie. Wie kam es jetzt zu dieser Zusammenarbeit?
Berger-Gorski: Ich kenne Frau Stone seit vielen Jahren, sie fragte mich und ich sagte zu. Im Vergleich zu größeren Häusern wie der Hamburgischen Staatsoper, der Oper Bonn oder dem Liceu in Barcelona kann ich hier mit jungen Sängern arbeiten, die zum ersten Mal diese Partie mit mir diskutieren und erarbeiten. Wir können gemeinsam einen Charakter erschaffen und eine Entwicklung darstellen. Das ist für einen Regisseur die größte Freude. In Magdeburg haben wir eine ideale Besetzung. Das kann kein anderes Haus von sich behaupten, den "Don Carlos" auf diesem Niveau mit nur einem Gast besetzen zu können. Einmalig wird wohl auch unsere Idee für das Autodafé. Aber das möchte ich noch nicht verraten. Nur so viel: Es wird Wahnsinn, was hier stattfinden wird.
Premiere: 15. September, Opernhaus