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Das Sartre-Stück "Geschlossene Gesellschaft" am Nordharzer Städtebundtheater Eine Gesellschaft mit geglätteten Figuren und sehr viel Langeweile im Stehen

Von Hans Walter 28.11.2011, 04:37

Das Nordharzer Städtebundtheater spielt erstmals den wichtigsten Klassiker des existenziellen Theaters: "Geschlossene Gesellschaft" von Jean-Paul Sartre. Die Uraufführung war 1944.

Quedlinburg. l Der Spielort in der ausverkauften Quedlinburger Neuen Bühne im vollkommenen Schwarz des Raumes ist eine etwa sieben mal sieben Meter große quadratische Grundfläche aus schneeweißer Opera-Folie. Darauf stehen als einzige Requisiten drei weiße Sitzwürfel und ein Buzzer. Die gleißende Helligkeit der Scheinwerfer über dieser Dekoration bewirkt regelrechte Schmerzen. Das Licht flirrt in den Augen. Der Raum ist unentrinnbar. Es ist die Hölle.

Als Garcin (Arnold Hofheinz), Inés (Illi Oelmann) und Estelle (Susanne Rösch) ihre Lage bewusst wird, brechen sie in Gelächter aus. Ein Höhepunkt der Inszenierung (Regie und Ausstattung: Sebastian Wirnitzer) gleich zu Beginn. Vier Minuten lang Lachen, Gickern, Prusten, Husten. Man schaut sich an, man krümmt sich verzweifelt, die Körper schütteln sich wie im Krampf, von Neuem setzt nach dem Atemholen dieses verzweifelte Lachen ein: Garcin, Inés und Estelle sind Tote. Sie können der Hölle nicht entkommen.

Der Zufall kettet sie durch ihre Biografien aneinander. Jeder von ihnen wird zum Folterknecht der beiden anderen. Zuneigung, Zartheit, Liebe, Solidarität - sie gelten hier nichts, obwohl jeder diese Eigenschaften von einem der anderen erwartet. Man kann sie dem Menschen, der danach verlangt, nicht geben. Der pazifistische Journalist Garcin hat seine Frau misshandelt. Die reiche Estelle ermordete ihr Kind und trieb ihren Partner in den Selbstmord. Die lesbische Postangestellte Inés hat ein Mädchen ihrem Freund entfremdet, der unter einer Straßenbahn endet.

Doch Regie und Ausstattung glätten die Figuren, statt ihre Sozialität und Geschichten kräftig zu betonen. Bei Wirnitzer - von 1999 bis 2001 selbst im Ensemble des Städtebundtheaters und 2010 Gastregisseur von "Harrys Christmas" - sehen alle drei Spieler gleich chic und stylished in grauen Nadelstreifen aus. Sie geraten als Figuren in die Beliebigkeit. Graue Mäuse. Nicht mehr zu unterscheiden als unterschiedliche Menschen. Die Hölle wird nur noch behauptet, nicht mehr erspielt, etwa mit nervendem High-Heels-Geklapper oder wenigstens einer Frisur in Unordnung oder unterschiedlichen Schauspieler-Charakteren. Die Sitzwürfel - anders als die Sofas und Récamieren all der vielen filmischen Sartre-Umsetzungen - lassen keine Paarbeziehungen zu. Sehr viel Langweile im Stehen. Keine unterstützende Schauspielmusik.

Nach einer Stunde und zehn Minuten ist der Zuschauer aus der "Geschlossenen Gesellschaft" entlassen. "Also - machen wir weiter!" Alles zurück auf Anfang, mit gnadenlosem Gelächter, Gickern, Prusten im gleißenden Licht. Es ist die Hölle.