Der Journalist Dirk Kurbjuweit schrieb einen Stalker-Roman, der auf eigenen Erlebnissen basiert "Eine Situation schlimmer Hilflosigkeit"
Der Journalist und Schriftsteller Dirk Kurbjuweit erzählt in seinem neuen Roman "Angst", wie eine Familie unter einem Stalker leidet und zur Selbstjustiz getrieben wird. Die Volksstimme hat mit Dirk Kurbjuweit über das Buch gesprochen, das die Volksstimme ab Dienstag als Fortsetzungsroman veröffentlicht.
Volksstimme: Der Stalker in Ihrem Buch heißt Tiberius. Sie selbst hatten einen Herrn Tiberius in Ihrem Leben. Wie sehr haben Sie unter dem Stalker gelitten?
Dirk Kurbjuweit: Wir haben acht Monate erleben müssen, in der meine Familie stark bedrängt und uns eine Menge Angst eingeflößt wurde. Am Ende hat sich alles für uns gut gelöst. Trotzdem ist es ein Ereignis, das in der eigenen Biografie nachhallt.
Volksstimme: Wie ohnmächtig fühlten Sie sich?
Kurbjuweit: Extrem ohnmächtig. Ich bin ein überzeugter Staatsbürger dieses Landes. Mit dem Staat geht man einen Deal ein: Ich verzichte komplett auf Gewalt und dafür schützt du mich, wenn ich in Schwierigkeiten komme. Mit diesem Stalker waren wir in einer großen Not, und der Staat konnte uns nicht helfen.
"In meinen Gedanken habe ich damals geschossen"
Volksstimme: Ihr Protagonist Randolph Tiefenbacher wendet sich an die Polizei. Ich nehme an, Sie haben das auch getan?
Kurbjuweit: Wir waren bei der Polizei, wir waren auch bei der Justiz, aber die Rechtslage ist in solch einem Fall äußerst durchlässig. Niemand war da, der uns geholfen hat. Man erlebt eine Situation schlimmer Hilflosigkeit. Denn der Staat schreitet nicht ein, und andererseits gibt es zu Recht das große Tabu, sich selbst durch Gewalt zu helfen.
Volksstimme: Das ist in Ihrem Buch anders. Sie lassen den Vater von Randolph Tiefenbacher zur Waffe greifen. Er erschießt den Stalker. Sie stellen die moralische Frage, wie weit man gehen darf.
Kurbjuweit: Ich habe keine Gewalt angewendet. Aber für mich liegt das Erschreckende in der Selbsterkenntnis, wie schnell man im Kopf einen anderen Weg einschlägt. In meinen Gedanken habe ich damals geschossen. Dieser Vorhang, der uns trennt zwischen zivilem und barbarischem Verhalten, der ist sehr dünn. Wenn man herausgefordert wird, wenn man bedroht wird, wie wir damals, dann kann der Vorhang fallen.
Volksstimme: Diese Veränderung erlebt der Leser auch bei Ihrem Randolph Tiefenbacher. Warum aber greifen Sie zum Äußersten? Im Buch wird der Stalker getötet.
Kurbjuweit: Weil es damals für mich wirklich in meinem Denken eine Rolle spielte. Wir hatten unglaubliche Angst, dass er unsere Kinder überfällt, entführt, missbraucht. Der Stalker hatte sogar versucht, mit Gewalt in unsere Wohnung einzudringen. Aber erst durch unsere Anwältin wurde ich mit der Idee der Selbstjustiz konfrontiert, ausgerechnet. Ich habe ihr unsere Situation geschildert und war fest davon überzeugt, jetzt kommen Paragrafen und der Rechtsstaat hilft uns. Aber so war es nicht. Zum Abschied sagte sie, so leicht sei das alles nicht, aber ich kann ihnen eine Pistole besorgen. Das war für uns ein Schock. Die Pistole spielte dann in meinem Kopf immer wieder eine Rolle.
Volksstimme: Sie übten nie Gewalt aus. Sie gingen zu einer Kriminalpsychologin.
Kurbjuweit: Ja. Sie sagte zu mir, wenn der Stalker zu ihr käme, könnte sie mit ihm reden. Das hatte mich wieder entsetzt: Wie kann es sein, dass ich darauf warten muss? Schließlich konnte ich ihn aber davon überzeugen, sie anzurufen. Zwei Tage später ging er mit einem Köfferchen durch die Gartenpforte und wir haben ihn nie wieder gesehen. Zwei Jahre später haben wir erfahren, dass er gestorben ist - eines natürlichen Todes.
"Für mich dominiert nicht das Erinnern, sondern das Erzählen"
Volksstimme: Wurde Ihr Glaube an unseren Rechtsstaat erschüttert?
Kurbjuweit: Natürlich, er wurde erschüttert, auch dauerhaft.
Volksstimme: Aber der Staat handelte, es gibt seit 2007 ein Anti-Stalking-Gesetz.
Kurbjuweit: Es hat sich dadurch aber nicht viel verändert. Bei meinen Lesungen bekomme ich viele Reaktionen von Menschen, die gestalkt worden sind oder denen immer noch jemand nachstellt. Viele schreiben mir auch, schildern ihre Situation und ihre Hilflosigkeit. Trotz des Gesetzes wird diesen Leuten nicht oder zu wenig geholfen.
Volksstimme: "Angst" ist ein Psychothriller. Inwieweit ist es ein autobiografisches Buch?
Kurbjuweit: Es ist vor allem ein Roman. Im Roman lösen sich die Figuren immer von Ereignissen. Das ist nicht mein Leben, das ist nicht meine Familie, aber der Fall ist so gewesen. Für mich dominiert nicht das Erinnern, sondern das Erzählen.
Volksstimme: Ihr Protagonist ist Architekt, verheiratet, zwei Kinder, wohlsituiert. Der Stalker ist Heimkind, Hartz-IV-Empfänger, ein einsamer Mann. Warum haben Sie sich für diese beiden sozial so verschiedenen Pole entschieden?
Kurbjuweit: Weil es so war. Es war auch ein Teil unserer Sorge, dass der Staat oder Medien aus der Geschichte einen sozialen Konflikt machen könnten. Eine wohlhabende bürgerliche Familie gegen einen armen, unterdrückten Mann. Wir befürchteten, dass sich die Sympathien diesem armen, unterdrückten Mann zuwenden. Das fand ich für den Roman eine interessante Konstellation.
Volksstimme: Ist Herr Tiberius nicht auch ein Opfer?
Kurbjuweit: Ja, natürlich. Er hat Schlimmes erlebt, keine Arbeit gefunden, war einsam. Er dachte, vielleicht könne er sich eine Familie aneignen. Er war keineswegs nur böse, obwohl er damals mein Gegner war, in schweren Stunden auch mein Feind.
"Ich würde das Drehbuch gern selbst schreiben"
Volksstimme: War die literarische Aufarbeitung des Themas wichtig für Sie?
Kurbjuweit: Nicht im Sinne einer Therapie. Wir sind gemeinsam gut aus der Sache herausgekommen, auch wenn ein paar seelische Narben geblieben sind. Als Autor suche ich vielmehr nach interessanten Geschichten, und da hatte ich eine in meinem eigenen Leben. Nach acht, neun Jahren konnte ich literarisch damit etwas anfangen.
Volksstimme: Sie haben bisher sieben Romane geschrieben, drei wurden verfilmt. Können Sie sich "Angst" auch als Film vorstellen?
Kurbjuweit: Absolut. Es gibt bereits Bewerber für die Rechte. Ich würde das Drehbuch gern selbst schreiben und will damit noch in diesem Jahr anfangen.