Filmemacher, Chronist, Gewissen: Andrzej Wajda wird 90
Er ist der große alte Mann des polnischen Kinos. Andrzej Wajda ist für viele Polen aber auch eine moralische Autorität. Noch mit 90 Jahren erhebt er die Stimme, wenn er die Freiheit der Kunst in Gefahr sieht - oder die Freiheit der Menschen.
Warschau/Krakau (dpa) - Der Gang ist in den vergangenen Jahren etwas unsicher geworden, beim Gehen muss er sich auf einen Stock stützen. Doch die Augen von Andrzej Wajda blitzen weiterhin hellwach hinter seinen Brillengläsern.
Der Altmeister des polnischen Kinos, der am Sonntag (6. März) 90 Jahre alt wird, hält nicht viel vom Ruhestand. Filmprojekte geht er jetzt vielleicht etwas langsamer an, sein letzter Film kam 2013 in die Kinos.
Doch in öffentlichen Debatten erhebt Wajda weiterhin die Stimme. Kürzlich prangerte er zusammen mit anderen polnischen Regisseuren in einem offenen Brief den Umgang des Fernsehsenders TVP mit dem Film Ida an, für den sein Regiekollege Pawel Pawlikowski im vergangenen Jahr den Oscar für den besten fremdsprachigen Film erhalten hatte.
Dass der Sender, über dessen neue Führungsspitze die nationalkonservative Regierung entschieden hatte, den Film über die Identitätssuche einer jungen Nonne jüdischer Herkunft in einer kommentierten Version ausstrahlte, sei der Weg zur Zensur, schrieben Wajda und andere Mitglieder der Gilde polnischer Regisseure.
Wajda unterstützte in den vergangenen Wochen auch die Protestbewegung Komitee der Verteidigung für Demokratie, die seit drei Monaten in Polen Demonstrationen gegen die Regierung organisiert, über soziale Medien. Der Regisseur, der ursprünglich Maler werden wollte, wird in Polen nicht nur als Künstler verehrt, mit dem Generationen polnischer Cineasten aufwuchsen. Er gilt auch als moralische Autorität, als filmische Stimme des Gewissens.
Der in Suwalki in Nordostpolen geborene Wajda hatte an der Filmschule in Lodz studiert. Bereits seine ersten Filme - Eine Generation (1955), Der Kanal (1957) und Asche und Diamant (1958) gelten bis heute als Meisterwerke und Klassiker der polnischen Filmschule. In diesen Filmen setzte sich der Regisseur, der selbst am Widerstand gegen die deutsche Besatzung teilgenommen hatte, mit der Kriegszeit und der Machtübernahme durch die Kommunisten nach 1945 auseinander.
Die komplizierte, dramatische Geschichte seiner polnischen Heimat prägte immer wieder Wajdas Werk. Sein Klassiker Der Mann aus Marmor aus dem Jahr 1977 war eine schonungslose Kritik am stalinistischen System in Polen. Der Mann aus Eisen arbeitete 1981 die Geschichte der Streiks an der polnischen Ostseeküste und das Ringen um freie Gewerkschaften auf. Abschluss der Danziger Trilogie war vor drei Jahren die Filmbiografie Walesa. Mann der Hoffnung.
Wajda porträtierte Janusz Korczak, den Schriftsteller und Pädagogen, der mit seinen Schützlingen des Waisenhauses im Warschauer Ghetto im deutschen Vernichtungslager Treblinka ermordet wurde. Mit Das Massaker von Katyn (2007) setzte Wajda tausenden polnischen Offizieren, die 1940 vom sowjetischen Geheimdienst erschossen worden waren, ein Denkmal. Es war auch die filmische Aufarbeitung eines ganz persönlichen Traumas: Unter den Opfern des Massakers befand sich auch Wajdas Vater, ein Kavallerieoffizier.
Manche Kritiker warfen Wajda vor, er sei bis zum Ende des Kommunismus im Jahr 1989 zu viele Kompromisse mit den Kommunisten eingegangen. Ich war die Stimme der Nation, die nicht frei sprechen konnte, konterte dagegen der Regisseur. Ohne seine Filme hätte es 1980 die Freiheitsbewegung Solidarnosc nicht gegeben.
Der vier mal verheiratete Regisseur, der auch einen vorübergehenden Ausflug in die Politik machte und zwei Jahre lang als Senator für die Solidarnosc-Bewegung in der zweiten Kammer des polnischen Parlaments saß, wurde im Jahr 2000 für sein Lebenswerk mit dem Oscar ausgezeichnet. Im Jahr 2006 würdigte ihn die Berlinale mit dem Goldenen Ehren-Bären.