1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. "Ich komme mir vor wie bei Pippi Langstrumpf"

Im Gespräch mit Bühnenvereinschef Ulrich Katzer über die Situation an den Theatern und Orchestern "Ich komme mir vor wie bei Pippi Langstrumpf"

06.07.2013, 01:13

Die Theater und Orchester im Land sollen ab 2014 weniger Geld bekommen. Wie geht es weiter? Grit Warnat hat mit Ulrich Katzer, dem Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins Landesverband Ost, gesprochen.

Volksstimme: Herr Katzer, Ihr Verband hat im Mai gemeinsam mit anderen Institutionen eine Aktion gegen den geplanten Kulturabbau im Land gestartet. Sie heißt 5 vor 12. Wie spät ist es jetzt?

Ulrich Katzer: Es ist immer noch 5 vor 12, weil über das Geld letzten Endes der Landtag entscheidet. Ich hoffe nach wie vor auf die Einsicht der Verantwortlichen.

Volksstimme: Kultusminister Dorgerloh erwartet, dass die Träger bis Ende September Strukturkonzepte vorlegen. Wie soll das geschafft werden?

Katzer: Man kann Dinge nicht so kurzfristig übers Knie brechen. Es gibt Entscheidungen der Städte und auch des Kultusministeriums für den Betrieb der Theater und Orchester, die zum Teil weit in die Zukunft reichen. Die kann man nicht von heute auf morgen vom Tisch fegen. Der Minister tut so, als könnte er die Uhr auf null stellen.

Volksstimme: Sie meinen die Haustarifverträge?

Katzer: Ja. Nur ein Beispiel. Die einstigen beiden Orchester in Halle haben mehrere Strukturveränderungen hinter sich. Die letzte war 2009. Da wussten Stadt und Land, was es bedeutet, wenn man ein A-Orchester dieser Größenordnung besitzt. Und ein sozialverträglicher Personalabbau ohne betriebsbedingte Kündigungen auf 99 Musiker war für beide Seiten in Ordnung. Das war Konsens. Es wurde ein Haustarifvertrag bis 2018 mit einem Lohnverzicht von 10 Prozent abgeschlossen. Und jetzt kriegt die Stadt Kürzungen vorgelegt, wonach sie vom Land mit den gültigen Verträgen alleingelassen werden soll. Was soll man davon halten?

Volksstimme: Halle, Dessau, Eisleben sollen ab Januar 2014 deutlich weniger Geld bekommen, haben aber nach wie vor gültige Haustarifverträge. Was passiert, wenn das Geld gekürzt wird?

Katzer: Zunächst einmal: gültige Verträge sind einzuhalten. Man muss in jedem einzelnen Fall prüfen, ob das Theater das fehlende Geld aufbringen kann. Das ist aber wohl unrealistisch. Und dann zahlen die Zeche die Kommunen, denn sie sind die Eigentümer der Theater und Orchester.

"Das Land fördert auf dem Niveau des Jahres 2008 und möchte bis 2019 auf diesem Stand bleiben."

Volksstimme: Angedacht ist vom Land ein Strukturanpassungsfonds mit einer Million Euro. Wie groß müsste er Ihrer Meinung nach sein?

Katzer: Strukturanpassung ist nett gesagt. Für mich ist es ein Abwicklungsfonds. Wenn alle Vorstellungen des Ministeriums umgesetzt werden würden, liegt man allerdings bei ganz anderen zweistelligen Millionenbeträgen.

Volksstimme: Die Einsparpläne sind seit drei Wochen offiziell bekannt. Gab es schon Gespräche?

Katzer: Bislang ist das Ministerium noch nicht auf uns zugekommen. Der Minister hat auch hinsichtlich der Strukturen weder mit den Häusern direkt, noch mit den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften das Gespräch gesucht. Er versucht, seine Kürzungen unmittelbar bei den Ratsträgern durchzusetzen.

Volksstimme: Es wird generell wenig miteinander gesprochen.

Katzer: Es empört mich, dass vom grünen Tisch aus entschieden werden soll. Ich komme mir vor wie bei Pippi Langstrumpf, die sich die Welt malt, wie sie ihr gefällt.

Volksstimme: Der Kulturkonvent geht von Strukturveränderungen bis 2025 aus. Was können die Häuser vorher stemmen?

Katzer: Im Kulturkonvent sind wir davon ausgegangen, Strukturveränderungen zu prüfen. Auf der Grundlage der Fortschreibung und Dynamisierung der bisherigen Leistungen. Dabei muss man jeden Standort aufgrund seiner spezifischen Bedingungen separat betrachten. Schematisch funktioniert da nichts. Dabei müssen wir auch bedenken, dass sogenannte Strukturveränderungen pausenlos seit 1990 stattfinden. Dabei gingen seit der Wende fast zwei Drittel der Arbeitsplätze an Theatern und Orchestern verloren. Ich kenn kein Ministerium, in dem soviel abgebaut wurde. Wir müssen also zuerst festlegen, was wir wollen und das dann finanzieren.

Volksstimme: Besonders stark betroffen von den Kürzungsplänen ist das Anhaltische Theater Dessau. Es soll 2,92 Millionen Euro weniger bekommen. Das heißt Spartenschließung. Das Kultusministerium denkt an einen Musiktheaterstandort. Können Sie sich das vorstellen?

Katzer: Bei den Kürzungsideen des Ministers für Dessau werden die Schließungen des dortigen Schauspiels und des Balletts nicht ausreichen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Dessau mit dem großen Theaterhaus mit nur einer Sparte letzten Endes funktionieren kann. Auch Eisleben hat große Schwierigkeiten. Kann die Landesbühne mit drastisch weniger Geld ein Produktionsstandort bleiben?

"Wenn sich der finanzielle Rahmen nicht ändert, wird man an allen Orten über Schließungen nachdenken."

Volksstimme: Sicher nicht.

Katzer: Damit ist alles zur geplanten Fusion mit dem Nordharzer Städtebundtheater gesagt.

Volksstimme: Das Magdeburger Theater soll den Status Quo behalten. Die Stadt hat mehr gefordert, um Tarifaufwüchse aufzufangen.

Katzer: Bei allen Theatern und Orchestern ist der Status Quo ein reales Minus. Das Land fördert ja auf dem Niveau des Jahres 2008 und möchte bis 2019 auf diesem Stand bleiben. Das heißt, alle Mehrkosten, die zwischen 2008 und 2019 im Theater Magdeburg anfallen, muss die Stadt Magdeburg tragen. Die sind jetzt schon im Millionenbereich.

Halle soll ab Januar fast 3 Millionen Euro weniger bekommen. Über zwei Millionen kommen durch den Gehaltsverzicht der Mitarbeiter hinzu. Jede Tariferhöhung kommt mit 700000 Euro daher. Da sind wir im Jahr 2014 zusammengerechnet bei 6 Millionen, ein Jahr später bei 7 Millionen. Die Zahlen liegen dem Minister seit anderthalb Jahren vor. Ganz ehrlich:Ich kann mir im Moment bei keiner Kommune vorstellen, dass sie ihre Theater bis 2019 so bezuschussen kann. Damit wird die Bestandsdiskussion nicht an einem Haus festgemacht, sondern auf alle ausgeweitet. Das ist eine neue Qualität.

Volksstimme: Wie kann die Einnahmesituation verändert werden?

Katzer: Wenn das Land es den Kommunen so schwer machen will bei dem Betrieb ihrer Theater und Orchester, könnte man sich mal überlegen, ob es die Einnahmeseite nicht verbessern könnte. Stichworte sind die vom Konvent vorgeschlagene "Bettensteuer" für Übernachtungen und die Umlandfinanzierung. Die betroffenen Kommunen schaffen es jedenfalls nicht alleine. Wenn sich der finanzielle Rahmen nicht ändert, wird man an allen Orten über kurz oder lang über Schließungen nachdenken.

Volksstimme: Was kann der Bühnenverein tun?

Katzer: Wir sind für den Bereich der Bühnen und Orchester der Arbeitgeberverband. Mitglieder sind die theatertragenden Städte und das Land. Auf der anderen Seite sind wir der Interessenverband, der die Theaterlandschaft erhalten will. Das bringt uns manchmal in die Situation, dass gerade die eigenen Mitglieder uns das Leben schwer machen. So wie jetzt das Land.

Volksstimme: Wie soll es weitergehen?

Katzer: So jedenfalls nicht. Wir sind wieder am Anfang des Gesprächs. Wir brauchen Einsicht in verantwortliches Handeln.