Im Gespräch mit Schriftsteller Erich Hackl, der am 12. November in Magdeburg lesen wird "Ich muss mir das Erfinden weitgehend versagen"
Den Erzählungen des in Wien und Madrid lebenden Schriftstellers Erich Hackl liegen authentische Fälle zugrunde. "Familie Salzmann", erschienen im Diogenes Verlag, heißt sein neuestes Buch – eine Familiengeschichte über drei Generationen. Mit "Familie Salzmann" ist er auf Lesereise unterwegs und am 12. November (19 Uhr) zu Gast im Literaturhaus Magdeburg. Grit Warnat hat vorab mit Erich Hackl gesprochen.
Volksstimme: Herr Hackl, Ihr Name steht literarisch gesehen für das Aufarbeiten von realen Lebensgeschichten. Wie sind Sie auf die Geschichte der Familie Salzmann gekommen?
Erich Hackl: Diese Geschichte wurde mir von Hugo Salzmann, dem Junior, zugetragen. Er ist vor acht Jahren auf mich zugekommen, nachdem er mein Buch "Die Hochzeit von Auschwitz" gelesen hatte und darin einen Teil der eigenen Familiengeschichte wiederzuerkennen glaubte. Er hatte das große Bedürfnis, dass jemand an das Schicksal seiner Mutter erinnert, die in Ravensbrück umgekommen war. Und dann hat es auch die kurz zurückliegende Mobbinggeschichte gegeben, die seinem Sohn Hanno so stark zugesetzt hatte.
Volksstimme: Er wurde in seiner Arbeit antisemitisch gemobbt, als er sagte, dass seine Oma im KZ umgekommen ist ...
Hackl: Und das in zivilisierten Zeiten, in einer zivilisierten Gegend. Und trotzdem geschieht so etwas nach wie vor.
"Eine Geschichte mitten unter uns"
Volksstimme: Sie gaben dem Buch den Untertitel "Erzählung aus unserer Mitte". Meinen Sie damit, dass die Salzmannsche Familiengeschichte stellvertretend für viele andere Familiengeschichten in Deutschland und Österreich steht?
Hackl: Ich habe diesen Untertitel gewählt, weil sich diese Familiengeschichte mitten unter uns abspielt, in der sogenannten Normalität.
Volksstimme: Sie verarbeiten in ihren Romanen ausschließlich authentisches Material. Wieviel Recherchearbeit mussten Sie in dieses Buch stecken?
Hackl: Ein Gutteil der Informationen verdanke ich dem, was mir Hugo und Hanno Salzmann anvertraut haben. Auch dem, was der Großvater in seinen unveröffentlichten Lebensaufzeichnungen hinterlassen hat. Andererseits war eine Vielzahl von Recherchen notwendig, weil es für längere Zeitabschnitte keine Unterlagen gab und Erinnerungen fehlten. Das waren schon recht große Lücken, die ich versucht habe, durch staatliche, juristische, persönliche Dokumente oder Zeitungsberichte zu schließen. Wichtig war, dass ich mich auf die Nachforschungen von zwei Historikern stützen konnte, die sich bereits mit der Verfolgungsgeschichte der Großeltern-Generation Salzmann befasst hatten.
Volksstimme: Als Autor bewegen Sie sich immer zwischen Fiktion und Dokumentation. Wie nah wollen Sie einer Geschichte kommen? Wie nah können Sie überhaupt einer Geschichte kommen, ohne ein Sachbuch zu schreiben?
Hackl: Ich versuche, in allen bisherigen Büchern den Beweis anzutreten, dass die Vereinigung von Dokumentarismus als Methode und Fiktion als Erzählweise möglich ist. Man könnte ja sagen, dass das Dokumentarische den Anspruch auf Wirklichkeit Genüge tun soll und die literarische Darstellungsweise den Anspruch auf Wahrheit.
Volksstimme: Sie bleiben der Belletristik treu?
Hackl: Ich wähle als Gattungsbegriff die Erzählung, das kann eine Geschichtserzählung sein, aber auch eine Geschichtenerzählung. In der Gestaltung, in Komposition bin ich natürlich sehr stark eingeschränkt durch die Fakten, denen ich treu bleiben muss. Ich muss mir das Erfinden weitgehend versagen.
Volksstimme: In "Als ob ein Engel" schreiben Sie über eine junge Frau, die 1977 während der Militärdiktatur in Argentinien spurlos verschwunden war, in "Die Hochzeit von Auschwitz" sind es Leidensgefährten im Vernichtungslager. Wie stoßen Sie nach so vielen Jahrzehnten auf all diese Schicksale?
"Protagonisten wachsen ans Herz"
Hackl: Das ist unterschiedlich. Manchmal hat es zu tun mit dieser Mischung aus Leidenschaft und Interesse, die bewirkt, dass man auf Fälle aufmerksam wird. Bei "Als ob ein Engel" war es so, dass ich mich für das Schicksal verschwundener Österreicher während der Militärdiktatur in Argentinien interessiert hatte. Diese Zeit fällt ja in meine eigene Lebenszeit. Im Zuge dieser Spurensuche bin ich auch auf die Protagonistin aufmerksam geworden, hatte Kontakt zu ihrer Mutter, die mir sagte, wie sehr sie gehofft habe, dass jemand einmal die Geschichte ihrer Tochter erzählen wird.
Bei der "Hochzeit von Auschwitz" hat mir jemand, dem selbst die Flucht aus Auschwitz gelungen war, ein paar Dokumente gegeben mit dem Satz: Dich interessieren doch immer solche Geschichten. Sie hat mich interessiert und ich habe recherchiert.
Volksstimme: Sie bedienen nicht gerade die Bestseller-Themen. Wie wichtig ist es Ihnen, Unrecht und Ungerechtigkeit zu thematisieren?
Hackl: Es sind mir die wichtigsten Themen. Mich fasziniert die Geschichte der Linken in unserer Zeit, im vergangenen Jahrhundert, mich interessiert Verfolgung, der Widerstand gegen Nationalsozialismus und gegen Faschismus auch anderswo. Ich bin Hispanist und möchte erfahren, was im spanischsprachigen Raum passiert. Für mich gibt es nichts Aufregenderes, als solchen Geschichten nachzugehen.
Volksstimme: Wachsen Ihnen Ihre Protagonisten ans Herz?
Hackl: Ja, sehr. Das liegt an der langen, intensiven Recherche. Und weil ich mit realen Menschen zu tun habe. Ich sehe das als Vorteil gegenüber den fiktional schreibenden Kollegen. Selbst die Faktentreue ist für mich kein Nachteil. Ich habe den großen Vorteil, dass sich aus der Beschäftigung mit all diesen Stoffen auch Freundschaft entwickelt.
Karten im Literaturhaus Magdeburg, Telefon 0391/4 04 49 95