1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Iphigenies Rückkehr auf die Felseninsel

André Bücker inszeniert Goethe-Stück als Sommertheater des Anhaltischen Theaters in Wörlitz Iphigenies Rückkehr auf die Felseninsel

Von Helmut Rohm 17.07.2013, 01:13

"Hier ist ietzt unendlich schön...", schwärmt Goethe 1778 in einem Brief aus Wörlitz an Charlotte von Stein. Wie groß wäre seine Freude, hätte er die am Freitag begeistert aufgenommene Premiere seines Schauspiels "Iphigenie auf Tauris" auf der Wörlitzer Insel Stein miterleben können.

Wörlitz l Sehr zufrieden wäre ebenfalls Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau, dass dieses Stück über Humanität und Idealismus auf der von ihm ab 1788 in den Wörlitzer Anlagen angelegten Felseninsel aufgeführt wird. Er selbst hatte es auch 1794 zur Eröffnung des dortigen Amphitheaters ausgewählt.

André Bücker, Generalintendant des Anhaltischen Theaters Dessau, hat das reizvoll natürlich gegebene Ambiente dieser Anlage mit dem Inhalt des Stückes um Iphigenie zu einem Gesamterlebnis verwoben. Die Spielfläche wurde zum Hain vor dem Tempel der Göttin Diana auf der Insel Tauris. Im Zentrum ist ein Opferaltar platziert. Ein Dolch weist auf die dort vorgenommenen Rituale der Menschenopfer hin. Zwei Tempeldienerinnen entzünden Feuer- und Duftschalen.

Im hinteren Teil agiert Percussionist Alex Wäber. Der international erfolgreiche Musiker verleiht mit längeren Passagen und kurzen, einzelnen Szenen unterstützenden Sequenzen der Dramatik zusätzliche Spannung und emotionale Wirksamkeit. Einfallsreich gestaltete Kostüme im kontrastierenden Schwarz -Weiß verleihen der Handlung starke Symbolkraft.

Iphigenie schreitet von der Tempelanhöhe durch die Zuschauerreihen herab. In dem mit besten Textverständnis sowie sparsam und effektvoll eingesetzter Mimik und Gestik gestalteten Monolog erfahren von ihr die Zuschauer im vollbesetzten Theaterrund ihre Geschichte.

Sie wurde von ihrem Vater Agamemnon geopfert, von der Göttin Diana gerettet und nach Tauris entführt. Hier dient sie unter dem Schutz des Königs Thoas als Tempelpriesterin. Dank ihres Wirkens wurde der Brauch des Menschenopfers abgeschafft. Doch zufrieden ist sie nicht. Groß ist ihre Sehnsucht nach ihrer griechischen Heimat. Der Gewissenskonflikt zwischen Pflichterfüllung und persönlichen Wünschen gewinnt plötzlich an Brisanz, als Iphigenie den Heiratsantrag des Königs ablehnt. Da hilft auch die Argumentation von des Königs Diener und Berater Arkas nicht viel.

Die Konsequenz der Ablehnung: Der frustrierte König will den alten Ritus wieder einführen.

Und just zur gleichen Zeit werden zwei griechische Eindringlinge aufgegriffen, die dieses Schicksal treffen soll. In den Gefangenen erkennt Iphigenie ihren Bruder Orest, der vom Fluch der Erinnyen besessen ist, und dessen Freund Pylades. Gemeinsam beschließen die drei zu fliehen.

In einer der wohl stärksten emotionalen Szenen lässt Katja Sieder den Zuschauer tief in die Seele der Iphigenie blicken. Ihre Zweifel, Ängste, Wünsche, Sehnsüchte, doch auch Toleranz und Fairness zu dem, der ihr Schutz bot, führen innere Kämpfe.

Wahrheit und Pflichterfüllung siegen. Sie offenbart sich dem König. Es droht der offene Kampf zwischen Orest und Thoas. Da ist es Iphigenie, die mit dem Appell an Humanität und Menschlichkeit das Unheil abwendet. Thoas lässt Iphigenie, Orest und die Gefährten ziehen. Humanität und Menschlichkeit siegen.

André Bücker hat dieses klassische Stück in klassischer Theatermanier auf die Bühne gebracht, bar jedweder Modernisierung. Doch wohl gerade deswegen hinterlässt diese Wörlitzer "Iphigenie" eine starke Wirkung, liegen doch die aktuellen Parallelen bezüglich Toleranz, Humanität, Identität, Gewaltverzicht auf der Hand.