Kaiser Karl IV. - einer der ersten großen Europäer
Weder Deutscher noch Tscheche, sondern Luxemburger und Europäer: Der vor 700 Jahre geborene Kaiser Karl IV. führte Mitteleuropa in eine Blütezeit und passt so recht in keine Schublade. Wer war der Mann hinter Goldener Bulle und Karlsbrücke?
Prag (dpa) - Wer als Tourist durch Prags verwinkelte Gassen spaziert, trifft fast auf jedem Schritt auf das große Erbe Kaiser Karls des Vierten. Da ist natürlich die Karlsbrücke mit ihren 25-Meter-Bögen, zu ihrer Zeit ein technisches Wunderwerk.
Noch heute blickt der Herrscher, dessen 700. Geburtstag am Samstag ist, vom Altstädter Brückenturm auf die Passanten hinunter.
Gleich nebenan erinnert eine Statue des Dresdner Bildhauers Ernst Hähnel an den römisch-deutschen Kaiser und König von Böhmen. Erkennbar ist er an seinem trendigen Vollbart. Und im Karolinum erhalten Studenten der Universität ihren Abschluss, die Karl IV. 1348 als erste Hochschule Mitteleuropas gegründet hatte.
Dennoch hatte Karl IV. (1316-1378) aus dem Hause Luxemburg bei deutschen Chronisten lange ein Imageproblem: Der kirchenhörige Pfaffenkönig habe sich mehr um sein Königreich Böhmen als das Reich gekümmert, hieß es. Anders sieht es naturgemäß im Nachbarland aus, wo Karel in Umfragen immer wieder zum größten Tschechen aller Zeiten gekürt wird. Die Wirklichkeit war wie immer komplizierter.
Karl IV. hätte über sich mit Sicherheit nie gesagt: Ich bin Tscheche oder ich bin Deutscher, sagt Eva Dolezalova vom Zentrum für Mediävistik in Prag. Der Herrscher sei ein Europäer gewesen - am französischen Hof erzogen, zur Hälfte luxemburgischer Herkunft und fließend in mindestens fünf Sprachen. Er hatte das Bedürfnis, die Teile zu verbinden und nicht zu trennen, sagt Dolezalova.
Daher passt es, dass Tschechien und Bayern dem Friedensfürsten im Jubiläumsjahr ihre erste gemeinsame Landesausstellung widmen. Sie wird erst in Prag und dann in Nürnberg zu sehen sein. Als römisch-deutscher Kaiser herrschte Karl IV. über ein Gebiet, das von Luxemburg bis Graz und von Nizza bis Hamburg reichte. Im Reich nie völlig akzeptiert, konzentrierte er sich auf seine Hausmacht, die er von Böhmen bis zur Mark Brandenburg ausdehnte. Und es war dieser Kaiser ein sehr kluger Mann, und er gewann die Herrschaft mehr durch Überzeugungskraft als durch Waffen, lobte ein Chronist.
Als Anthropologen vor einigen Jahren das Skelett des Kaisers untersuchten, zeigte sich ihnen ein Mann, der sehr viel Zeit im Sattel verbracht hatte. Ursprünglich wohl 1,73 Meter groß und von athletischer Gestalt, bot der Herrscher später als Folge von Turnier oder Kampf ein Bild des Horrors: Die Halswirbelsäule war verkrümmt, der Kiefer einmal eingeschlagen, und von einer Augenbrauen zog sich quer übers Gesicht eine tiefe Schnittwunde, die eine hässliche Narbe hinterlassen haben muss. Vielleicht, so wird gemutmaßt, ließ er sich deswegen einen Bart wachsen.
Auf Statuen des selbstverliebten Herrschers ist von den Narben nichts zu sehen, wie etwa am Schönen Brunnen in Nürnberg. Die fränkische Handelsstadt hatte Karl IV. neben Prag zu seiner Residenz gemacht. Noch heute erinnert an der Frauenkirche das sogenannte Männleinlaufen der sieben Kurfürsten um den Kaiser an ein denkwürdiges Ereignis: Am 10. Januar 1356 verkündete Karl IV. auf dem Nürnberger Hoftag die Goldene Bulle. Die Urkunde bildete bis 1806 das Grundgesetz des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Ihr goldenes Siegel (lateinisch bulla) gab dem Kodex seinen Namen.
Karls Regelungen zur Königswahl hatten über Jahrhunderte bestand, obwohl er bei der Krönung seines eigenen Sohnes Wenzel noch pragmatisch über sie hinwegsah. Mit ähnlicher Weitsicht gründete er unzählige Burgen, Klöster und Siedlungen. Das könnte auch eine Lehre für heutige Politiker sein, meint Historikerin Dolezalova: Er dachte nicht nur an seine Amtszeit, sondern darüber hinaus.
Karl war nicht nur Politiker, Friedensfürst und Verfasser der ersten Autobiografie eines mittelalterlichen Herrschers, der Vita Caroli Quarti. Er war auch ein zutiefst gläubiger Mensch und eifriger Sammler von Reliquien. Für ihn war es ein Weg zu Gott und keine Sammelleidenschaft in dem Sinne, dass ihm noch der Heilige Nikolaus oder der Heilige Prokop fehlte, sagt Dolezalova.
Zahlreiche Überreste von Heiligen trug der Herrscher auf seinen Streifzügen durch Europa zusammen - nicht immer zum Gefallen der ursprünglichen Eigentümer. Einer Legende nach griff Karl einmal selbst zum Messer, um ein Stück eines Heiligenfingers abzuschneiden. Als frisches Blut geflossen sei, habe er es zurückgelegt - und der Finger sei wieder ganz geworden.
Bayerisch-Tschechische Landesausstellung in Prag, Englisch
Bayerisch-Tschechische Landesausstellung, Deutsch
Abriss zur tschechisch-deutschen Geschichte


