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"Die Fledermaus" bei den 16. Wernigeröder Schlossfestspielen Kostüme und Bühne lassen Solisten uncharmant allein

08.08.2011, 04:37

Wenn Musikdirektor Christian Fitzner sich und seinem Philharmonischen Kammerorchester in der "Fledermaus" gestreifte Knast-Mützen aufsetzt, lachen so zirka drei bis fünf Zuschauer darüber. Die Premiere am Freitag auf Schloss Wernigerode schleppte sich zäh über die Runden.

Von Hans Walter

Wernigerode. Dass die "wienerischste aller Wiener Operetten" so glanzlos verlief, hat wohl seine Ursache im Bühnen- und Kostümbild. Manfred Kaderk und Anke Drewes-Siebenborn kamen mit der Ästhetik des Schlossinnenhofes nicht klar. Ihre Arbeit wirkte gegen die Architektur arm an Witz und Ideen. Das begann mit der Eisenstein-Wohnung. Die Ausstattung war reduziert auf ein einziges Möbel, die Liege. Ein ärmlicher grauer Überwurf, ein aus irgendwelchem Grund mit Fledermäusen bedruckter Vorhang, ein billiger Plastikeimer als Accessoires.

Das setzte sich beim Ball von Prinz Orlofsky fort. Mit Kostümen, die der Resterampe alle Ehre machen. Wenig war elegant, edel, chic und wertvoll, nichts entsprach dem rauschenden Fest des superreichen russischen Prinzen auf seinem Schloss. Was ist er überhaupt für ein Typ? Androgyn, übersättigt, ein hellwacher Beobachter der Gesellschaft aus Parvenüs und blutjungen "Ballettratten"? Der Prinz hielt eine dreiviertel Stunde lang seine kalte Zigarette samt Zigarettenspitze in die Luft, sah geheimnisvoll aus und sagte Text auf. Das wars.

Das Jahr 1873 war es nicht

Ach so, eine Champagnerflasche wurde dann noch ausgerollt und fünf billige Sektflaschen-Luftballons herum- gereicht. Als sich einer davon in den Nachthimmel verflüchtigte, war das schon ein Höhenflug der Ausstattung. Statisten mit Rokoko-Perücken und mit Larven tummelten sich auch noch auf der Bühne. In welche Zeit sind wir eigentlich gebeten? 1873, das Jahr, das im Programmheft klug analysiert wurde, war\'s nicht. Gegenwart auch nicht. Dann hätte der Prinz Züge von David Bowie oder Bill Kaulitz gehabt.

Schön wäre gewesen, irgendetwas von Schloss Wernigerode und den Bauleistungen des Architekten Carl Frühling hätte mitgespielt - ein Fenster, eine Tür, ein Turm. Aber Fehlanzeige. Noch nie habe ich erlebt, dass Kostüm und Bühne die Regisseurin (Renate Rochell) und die Solisten so uncharmant allein ließen.

Das zeigt sich besonders in der Zeichnung des Gefängniswärters Frosch und des Advokaten Dr. Blind. Dieser Frosch wirkt vom ersten Akt an schmutzig und ungepflegt. Er darf denn auch im dritten Bild ausgiebig rülpsen. Eine Art Kohlenträger. Dass sich Direktor Frank, dass sich Ida und Adele mit so einem verdreckten Typen abgeben? Eher unwahrscheinlich! Und der Advokat scheint der Olsenbande entsprungen zu sein - große ungeputzte Schuhe, rosa Socken, Hochwasser-Hose, dicke Brille, ein Freizeithut und eine zerbeulte Bügeltasche. Nein, die Charaktere dieser Figuren interessieren keinen. Sie sind mit dem Kostüm denunziert und für die geistvolle Strauß-Operette gestorben.

Orchester und Sänger leisten Beachtliches

Dabei leisten das Philharmonische Kammerorchester und die Sängerschar durchaus Beachtliches. Sie spielen um ihr Leben mit größtem Vergnügen Strauß. In wahrer Champagnerlaune. Besonders Viktoria Car (Adele), Doreen Hoffrichter und Andreas Jören, der erst in den letzten zehn Tagen die große Rolle übernahm und sie mit Überzeugung spielte (Rosalinde und Gabriel von Eisenstein), Calixta Biron von Kurland (Prinz Orlofsky) und Dietmar Sander (Dr. Falke) machen die Arien zum Genuss. Eine Überraschung im Orlofsky-Bild war Sanders\' Violinsolo zu Doreen Hoffrichters schwermütigen "Klängen der Heimat". Das ist tadellos musiziert und wird in den sängerischen Ensembles auch darstellerisch von Renate Rochell passabel in Szene gesetzt.

Aber für diese "Fledermaus" hätte es auch eine deutlich preiswertere konzertante Aufführung getan. Vier Minuten Premierenbeifall sind zu wenig! Nachzudenken wäre auch über die freien Plätze. Die Wernigeröder machten sich rar - wohl auch dem stolzen Kartenpreis von 45 Euro geschuldet. Mit einem Sektchen landet man dann mit Gattin oder Gatten schon bei 100 Euro. Insgesamt tröstet nur noch der Abgesang aus der "Fledermaus": "Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist."

Es wird schwer, den Schlossfestspielen mit theatralem Glanz wieder Vertrauen zu geben.