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Bücherfrühling mit Wilhelm-Bartsch-Lesung Der Lyriker stellt sich als Romancier vor

08.04.2011, 04:29

Von Liane Bornholdt

Magdeburg. Der Hallenser Wilhelm Bartsch, Jahrgang 1950, ist als Lyriker bekannt, und er gewann diverse Preise, auch den Wilhelm-Müller-Literaturpreis von Sachsen-Anhalt. Zur Buchmesse im März erschien im Berliner Osburg Verlag sein Romandebüt "Meckels Messerzüge", und dieses Buch stellte der Autor im Magdeburger Forum Gestaltung vor.

Aber was für ein Debüt! Es ist bereits der erste Satz, der vieles aufleuchten lässt, was Leselust befeuern kann. Neugier vor allem, ein bisschen Irritation, Sprachwitz:

"Ich war dreizehn Jahre alt, mein Freund Ludwig Wucherer erst zwölf, als das Unvorstellbare auch wirklich geschah - wir schnitten meinen Vater auf. Seine Eingeweide schwammen in weißlichem Wasser, und tatsächlich ragte die gewanderte Leber wie ein Inselberg daraus hervor. Die Geheime Räthin Meckel, deine Großmutter, musste eine große Schöpfkelle aus der Küche holen, weil die anatomische für die Ausschöpfung ihres Gatten einfach zu klein war."

Ob man wohl hart gesotten sein muss, um diesen Roman zu lesen und zu verdauen? Nein, das gewiss nicht, denn wie Wilhelm Bartsch fortfuhr mit diesem ersten Kapitel, wurde sogleich klar, mit wie viel Kraft und sprachlicher Meisterschaft der Lyriker eine Prosa geformt hat, deren Gegenstand vielleicht erst einmal fern, sogar befremdlich wirken könnte: Das Leben der Hallenser Anatomen-Pathologendynastie derer von Meckel. Er schreibt mit Witz und, ja, auch mit Schönheit. Und auch diesmal: Nein! Es ist die Zeit der Napoleonischen Kriege, schließlich der Befreiungskriege, in die der Roman führt.

Die Zeitspanne reicht von 1803, als der Hallenser Anatom Philipp Theodor Meckel stirbt und seine Söhne, den später berühmte Johann Friedrich und den Lützower Jäger und Feldscher Albrecht August, Ich-Erzähler des Buches, per Testament beauftragt hatte, seinen Leichnam zu präparieren, bis 1813. Obwohl sein Anliegen, so der Autor, die Suche nach den sich widerstreitenden Wurzeln der modernen Biowissenschaften, die damals Lebenswissenschaften hießen, sei, so finden sich im Roman auch oder gerade Sätze von politischer Aktualität, dass sie zum Memento der gerade stattfindenden Weltpolitik dienen sollten. "Wir hatten nicht viel von den französischen Freiheiten, schließlich war Krieg und wir waren die Eroberten, die Vergewaltigten, die Opfer. ... Lebten wir etwa im blanken Mittelalter? Nein! Die Franzosen des Code civil hätten sich beispielsweise so manche Scheibe auch beim Preußischen Landrecht abschneiden können oder beim Preußischen Criminalrecht, das schon lange vor Napoleon wohl das modernste weltweit war! Was soll das überhaupt für eine Freiheit sein, die einem mit Waffengewalt zugefügt wird?"

Bartsch ist ein Fabulierer mit einer fast unbändigen Freude am genau treffenden Wort, über das er auch in der freien Rede scheinbar mühelos verfügt, und über die Lesung hinaus weiß er noch und noch zu erzählen aus einem überreichen und tiefgründig recherchierten Fundus an Geschichten der vielen Figuren, welche die Lebenswege der Meckels berühren, Napoleon höchstselbst natürlich, die Mediziner und Naturwissenschaftler der Zeit, aber auch Lützow und Friedrich Ludwig Jahn, General Blücher und Theodor Körner ... Er entfaltet ein spannendes Panorama, das sich zum historischen Roman fügt, genauso wie zum Schelmenroman, ein wenig zum Heimatroman und sogar zum Krimi.

(Wilhelm Bartsch. Meckels Messerzüge. Osburg Verlag, ISBN 978-3-940731-59-3, 19,95 Euro)