Harry Rowohlt im Magdeburger Moritzhof beginnt seine Lesung mit einem Spottgedicht von Erich Weinert Lachen über intelligenten, (selbst)ironischen Witz
Magdeburg l In der "Anschleimphase", wie Harry Rowohlt die ersten Minuten seiner Lesung bezeichnet, rezitiert der Vorlesekünstler ein Spottgedicht des Magdeburger Dichters Erich Weinert. Das Publikum ist bezuckert. Doch ein Eisbrecher ist vergangenen Freitagabend in der ausverkauften Moritzhof-Scheune Magdeburg gar nicht nötig. Das Publikum weiß: Ein Abend mit Harry Rowohlt bedeutet Vergnügen.
Da sitzt er am Vorlesetischchen, der Mann mit zotteligem Rauschebart und Nickelbrille. Für seine Rolle als Penner Harry in der Fernsehserie "Lindenstraße" soll er keinerlei Maske brauchen. Er ist neben Gelegenheitsschauspieler vor allem Übersetzer englischsprachiger Literatur und Kolumnenschreiber. Aus einem Stoffbeutel (!) fördert er Manuskripte und Bücher zutage - Material für ein abendfüllendes Unterhaltungsprogramm.
In Magdeburg, im "Beitrittsgebiet" bei den "Zonis" liest Rowohlt bereits das sechste Mal. Die Zeiten, in denen er saufend seine Leseabende zelebrierte, wie er sagt, sind passé. Eine Krankheit zwingt ihn zur (Fast-)Abstinenz. "Ich darf mir nur viermal im Jahr gepflegt die Kante geben. Seitdem habe ich eine Heidenangst, die Termine zu verpassen" frotzelt er.
Sprachbrillanz und kluge Wortspielereien
Zunächst greift sich der Vorleser das Buch "Sie sind ein schlechter Mensch, Herr Gum" von Andy Stanton, um später in einige seiner Zeitungskolumnen einzusteigen. Die Geschichte vom Kinderhasser, Faulenzer und "Schlurf" Herr Gum ist skurril wie der Meister, der sie vorliest. Seine sonore voluminöse Stimme zieht in das Geschehen. Doch Stichworte genügen und Harry Rowohlt schweift aus seinen Manuskripten ab. Er berichtet vom bröckelnden Deutschlandbild im Ausland, weil Bundestrainer Jogi Löw vor aller Welt "Popel fraß", gibt das "Polacken"-Gedicht seiner Oma zum Besten, beklagt die erzwungene "Katakomben-Existenz" der Raucher, erzählt von Schoko-Kirsch-Kuchen, Elterngesindel und mittelscharfem Senf.
Der Künstler erfreut mit Sprachbrillanz und klugen Wortspielereien. Er schlüpft in verschiedene Rollen, variiert gekonnt Tonfall, Stimmhöhe und Geschwindigkeit. Scheinbar mühelos beherrscht Rowohlt Dialekte wie Sächsisch, Schwäbisch, Bayrisch und Wiener Schmäh. Er imitiert Günter Grass und Marcel Reich-Ranicki.
Das Publikum ist angetan von diesem Unikum auf der Bühne. Lachen über intelligenten, (selbst)ironischen Witz ist Trumpf. Der waschechte Hamburger ist einfach zu knuffig, wenn er wie ein alter Seebär die Hamburg-Hymne brummelt oder die Bremer als "Bonsai-Hanseaten" verhöhnt.
Bevor das Publikum um eine "Zugabe winseln" kann, liefert er sie: "Knolls Katzen" von Jan Neumann. In der Geschichte um Nachbars vermeintlich elend verhungerte Katzen lässt Rowohlt geballte Schauspiel- und Sprechkunst erleben. Er liefert eine dramatische Inszenierung am Vorlesetischchen. Ein letzter Höhepunkt des Abends, bevor er unprätentiös von der Bühne steigt. Komm bald wieder, Harry!, mag so mancher ihm zum Abschied zurufen wollen.