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Literaturpreis Kein Atem für Prosa

„Dorfschönheit“ heißt der erste Gedichtband von Marco Organo. Im November erhält der Lyriker aus Halle den Klopstock-Förderpreis des Landes.

Von Grit Warnat 04.10.2017, 01:01

Volksstimme: Wann haben Sie angefangen, Lyrik zu schreiben?
Als ich 19, 20 war, ließ ich die ersten Schwäne über Bergseen flattern. Solche Gedichte habe ich zerrissen. Im Band „Dorfschönheit“ ist „zimperliches z“ veröffentlicht. Das war mein erster Text, den ich überhaupt habe gelten lassen. Ich war 22, als er entstanden ist.

Woher stammt der Titel „Dorfschönheit“?
Er ist entstanden, als ich als Kurier in Halle und im Burgenlandkreis unterwegs war. Umleitungsbedingt bin ich um Teuchern herumgefahren, durch einen kleinen Ort mit einer grau verputzten Bushaltestelle. Dort das Graffito: Annett, du bist die Schönste.

Aber ein Gedicht unter dieser Überschrift gibt es nicht.
Das gibt es. Es hat meine eigene Qualitätskontrolle nicht überstanden. Aber der Titel ist geblieben.

Weil er zu Ihren Kindheitserinnerungen passt?
Ja. Und er ist so schön mehrdeutig. Im zentralen Zyklus geht es um das Dorf. Ich habe mich an wichtige Menschen und Begebenheiten erinnert. Mehrere Jahre habe ich in der Gaststätte meines Vaters gearbeitet. Da gab es nachts so eine innere Unruhe in mir, bis ich beschloss, wieder zu schreiben.

„Eene, meene, krumme Beene.“ Manche Texte erinnern an Kinderlieder.
Klar, die angeblich einfache Form. Wie auch der Bibber-Bade-Baggersee, entstanden, weil in einer Sonderausgabe von „Ort der Augen“ (Literaturzeitschrift für Sachsen-Anhalt, d. R.) Literatur für Kinder veröffentlicht wurde. Da saß ich nachts auf der Bettkante und erinnerte mich an unser Verhalten Mädchen gegenüber …Wir waren kleine Jungs, da weiß man es nicht besser.

Wer hat Sie beim Schreiben an die Hand genommen?
Ich bin schon länger im Friedrich-Bödecker-Kreis aktiv, bei Wilhelm Bartsch in der Werkstatt, im Dichterkreis Halle. Es gibt einmal im Jahr beim Bödecker-Kreis ein Treffen, wo junge Autoren Texte vortragen und diskutieren. Ich war damals mit dem „zimperlichen z“ vertreten und traf auf Zustimmung. Das machte mir Mut.

Wie lange haben Sie an „Dorfschönheit“ geschrieben?
Vereint sind Texte aus zwölf Jahren. „Raumkrümmung“ entstand schon im Sommer 2008. Das weiß ich ganz genau, weil ich aus einer WG in eine eigene Wohnung mit Türspion gezogen bin. Erst war der Titel da, später kamen dann die Gedanken an Physik, Rechenwege und Einstein.

Der Türspion als Ideengeber. Was inspiriert Sie noch?
Der Alltag, Lektüre, Filme, Musik. Oftmals arbeitet alles unterbewusst. Ich notiere, streiche, komprimiere, habe wieder neue Textideen, die arbeiten dann im Hinterkopf. Irgendwann ist der Text (fast) fertig, dann geht es ans Digitale.

Der Dichter Uwe Kolbe, der 2016 vom Land Sachsen-Anhalt mit dem Literaturpreis geehrt wurde, sagte im Volksstimme-Interview, der Anfang sei nicht das Schwierige, sondern das Ende, das Auf-den-Punkt-Bringen. Ist das für Sie auch so?
Manchmal sind Texte einfach da. Manchmal habe ich nur eine Skizze, die ich verfeinere. Aber ich sehe schnell, wo das Notierte im Text seinen Platz hat. Am Text zu arbeiten, heißt, die angemessene Form zu finden. In meinen Nachfolgeprojekten will ich mich mit klassischen Gedichtformen auseinandersetzen, mit Sonetten zum Beispiel. Dafür werde ich wohl bei Michael Spyra, meinem Vorgänger, was den Preis angeht, ein bisschen in die Lehre gehen müssen. Und natürlich bei Dichtern und Dichterinnen, die ich noch nicht so gut kenne. Meine Heldengalerie soll größer werden.

Heldengalerie?
Ich habe keine Bibliothek, ich habe eine Heldengalerie. Zu der gehören zum Beispiel Seamus Heaney, Ted Hughes, Heine, Benn, Trakl … Heaney beschrieb die Feder als den ihm angemessenen Spaten. Er grub für seine Gedichte in Familiengeschichten. Vielleicht habe ich es ähnlich gemacht: Ich war Dorfkind und habe Kindheitserinnerungen ausgegraben.

Wann fing Ihr Interesse für Literatur an?
In dem Betrieb, in dem mein Vater arbeitete, gab es eine Bibliothek. Für mich hatte er eines Tages drei Bände „Die Söhne der Großen Bärin“ mitgebracht. Die waren schon völlig zerlesen. Ich habe sie geflickt und ein Lesebändchen eingeklebt.

Warum entschieden Sie sich für Lyrik?
Mir fällt es ziemlich schwer, handelnde Figuren zu entwickeln und sie in Beziehung zueinander zu setzen. Mir fehlt für Prosa der Atem. Im Gedicht gibt es – meist - ein Ich und – immer – Metaphern. Damit kann ich arbeiten und finde leichter einen Zugang oder Zugriff.

Woran arbeiten Sie aktuell?
Ich will ein Langgedicht ­schreiben, ein Poem. Das Thema steht: Es geht ums Geiseltal. Mich interessiert, wie der Mensch mit seinen Landschaften, mit der Natur umgeht, wie speziell im Geiseltal der Kohleabbau die Landschaft verändert hat. Heute gibt es einen See, man kann mit dem Boot fahren, ein Winzer macht guten Wein. Ich recherchiere dafür, sammele Material, will Interviews führen. Das ist wieder eine neue Form für mich. Zudem arbeite ich am Nachfolgeband von „Dorfschönheit“. Der Titel steht schon. „Fruchtfolge“ – ein Begriff aus der Landwirtschaft: gleicher Acker, andere Saat, andere Ernte.