Inszenierung von Alexandra Will hat vor einem mit jungen Menschen besetztem Haus Premiere Magdeburger Inszenierung "Aussetzer" befasst sich mit Gewalt an Schulen
Viel wird über Gewalt an Schulen geredet. Ein Theaterstück zum Thema kann keine Rezepte offerieren, aber zur Diskussion anregen. Mit Lutz Hübners "Aussetzer" bietet das Schauspiel Magdeburg jetzt diese Möglichkeit.
Magdeburg l Lutz Hübner zeichnet sich dadurch aus, dass er wichtige Themen unserer Gesellschaft aufgreift, Figuren und eine Fabel ersinnt, die gut in der Realität verortet sind und ein solides Fundament für eine theatralische Umsetzung bieten. Zudem schreibt er lebendige Dialoge, die des Witzes nicht entbehren. "Aussetzer" erzählt von einem Schüler, der gegen eine junge Lehrerin gewalttätig wird und von deren Versuch, getreu ihrer pädagogischen Ideale dem Schuldigen zu helfen, statt ihn anzuzeigen. Dabei kommt es am Ende unter anderen Vorzeichen zu einer erneuten Eskalation. Ausgangssituation des Stücks ist ein fiktiver Gerichtsprozess, in dem Schüler und Lehrerin das Geschehen nachspielen.
Dieser Stückstruktur entspricht es, dass sich Regisseurin Alexandra Will konsequent zu Theater als Spiel bekennt. So arbeitet das Regieteam (Ausstattung Anja Ackermann) mit einem Raum, der beim Publikum ständig bildhaft im Bewusstsein hält, dass es um Schule und Zensuren geht.
Auf einem klinisch weißen Boden liegen und stehen verstreut, unterschiedlich groß, rot und aus Schaumgummi geformt, die Zahlen eins bis sechs. Sie bilden bespielbare Elemente, mit denen sich die Handlungsräume jeweils verändern lassen. Die beiden Protagonisten tragen weder modische noch trashige Garderobe, die Geschmack oder den Sozialstatus signalisieren würden, sondern fast identische Kleidung: Jeans, T-Shirt, Blazer. Nicht Individualität zählt, sondern Gegnerschaft in einem besonderen Kampf gegen- und umeinander, in dem mal der eine mal der andere im Vorteil ist.
Mit Jeremias Koschorz als Schüler Chris und Christiane-Britta Boehlke als Lehrerin Stöhr hat Alexandra Will zwei durchweg überzeugende Darsteller, die ihre Rollen glaubhaft mit einer großen Bandbreite von Verhaltensweisen ausstatten. Aber sie treiben die Figuren nicht in die Obsession.
Die Aufführung bleibt auch bei eskalierendem Konfliktszenarium immer temperiert. Sie vermeidet es, das Publikum mit exzessiven Ausbrüchen zu vereinnahmen: Chris ist unverschämt, aggressiv, destruktiv. Die Lehrerin reagiert verzweifelt oder wütend. Aber die Zuschauer teilen nicht ihre Gefühle, sie verstehen jedoch ihre Reaktion. Ein generell temporeicher Szenenwechsel lässt Mitleid oder spontane Parteinahme mit dem einen oder anderen der Akteure gar nicht erst aufkommen. Das bewahrt auch vor Klischees wie etwa dem des Täters als Opfer.
Bei aller Ernsthaftigkeit des Themas gibt es auch heitere Momente in aussagekräftigen oder sogar mitunter poetischen Bildern, etwa wenn sich erst Chris für das erste Treffen mit Parfüm einsprüht, und später die Lehrerin Gleiches tut. Oder es bunte Seifenblasen regnet um von leiser Verliebtheit zwischen Schüler und Lehrerin zu erzählen und von erotischer Spannung. Eindrucksvoll auch die Szene mit dem Papierflugzeug. Hier kehren sich die Verhältnisse um: Er will ihr helfen und sie verweigert sich.
Einen Vorschlag, wie die Katastrophe hätte vermieden werden können und welche Handlungsoptionen die Lehrerin für ein erfolgreiches Agieren gehabt hätte, unterbreitet der Abend nicht. Das Publikum ist aufgefordert, selbst zu urteilen. Es ist zu hoffen, dass es sich rege und engagiert ins Gespräch einbringt.