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Leni Riefenstahls Olympia-Dokumentation wurde vor 75 Jahren in Berlin uraufgeführt Meisterwerk oder Machwerk?

Von Wilfried Mommert 16.04.2013, 01:13

Vor 75 Jahren feierte Leni Riefenstahls Olympia-Film in Berlin Premiere. Bis heute ist die Dokumentation umstritten. War es ein Meister- oder ein Machwerk?

Berlin (dpa) l Hitlers "Lieblings-Regisseurin" Leni Riefenstahl ist wohl die umstrittenste Filmemacherin der Kinogeschichte. Ihr berühmtester Film neben der NS-Parteitags-Verherrlichung "Triumph des Willens" (1935) ist der zweiteilige Dokumentarfilm "Fest der Völker"/"Fest der Schönheit" über die Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Über 40 Kameraleute drehten mehr als 400 Kilometer Film und setzten dabei auch Handkameras, Unterwasserkameras und Kräne ein.

Der Film wurde vor 75 Jahren - am 20. April 1938 - in Anwesenheit Hitlers zu dessen 49. Geburtstag im Berliner UFA-Palast am Zoo uraufgeführt. Seitdem sind die Urteile über den Film gespalten. Die einen sprechen wegen der avantgardistischen Ästhetik der Bilder von einem "Meisterwerk der Filmgeschichte" und vom besten Sportlerfilm aller Zeiten. Hollywood-Regisseur George Lucas nannte Riefenstahl sogar "die modernste Filmemacherin überhaupt".

Das Dritte Reich als mythischer Nachfolger der Antike

Die anderen bezeichnen die 2003 im Alter von 101 Jahren in New York gestorbene Regisseurin dagegen als eine der "bekanntesten Kollaborateurinnen des NS-Regimes", die ihre Seele verkauft habe. Sie sei eine politisch naive Filmemacherin und Propagandistin des faschistischen Menschenbildes und der NS-Rassentheorie gewesen, so die Kritiker.

Das gelte auch für ihren Olympiafilm. Darin greift Riefenstahl zu Beginn auf das antike Athen zurück, um das Dritte Reich quasi als mythischen Nachfolger der Antike zu verherrlichen, zeigt einen von Nebelschwaden begleiteten Fackellauf durch Europa und endet mit dem berüchtigten "Lichtdom" Albert Speers.

Der Riefenstahl-Biograf und künstlerische Leiter der Deutschen Kinemathek in Berlin, Rainer Rother, spricht nüchtern von einem Film, der - vom Inhalt abgesehen - im Stil völlig neue Wege gehe. Statt nur den rein dokumentarischen Ablauf der Ereignisse zu zeigen, würden filmische Spannungsbögen aufgebaut. Dieser neue Filmstil sei auch einer der Gründe, warum der Olympiafilm zum Teil auch internationale Anerkennung fand.

Die deutsche NS-Presse jubelte: "Viele Ausländer werden ihr Urteil über das Dritte Reich gründlich ändern!" Der Versuch allerdings, das Werk auch in den USA zu platzieren, endete in einem Boykottaufruf. Fast zeitgleich fanden in Hitler-Deutschland die Juden-Pogrome vom 9. November 1938 statt. Dennoch zählt das Time-Magazin den Film noch heute zu den 100 besten Filmen aller Zeiten.

Verschiedene Fassungen für das Ausland produziert

Für das Ausland wurden auch verschiedene Fassungen hergestellt. Im Nachkriegsdeutschland wurde der Film von der Filmbewertungsstelle 1958 unter "entnazifizierenden" Schnittauflagen freigegeben, die unter anderem die Darstellung von Hakenkreuzen oder Großaufnahmen Hitlers betrafen.

Riefenstahl selbst hat sich nach dem Krieg immer als naive Künstlerin dargestellt. "Ich kann nicht einmal die SA von der SS unterscheiden", sagte sie einmal. Wie viele andere Deutsche sei sie von Hitler fasziniert gewesen, ohne die andere Seite zu sehen. Ihr Biograf Rother sagte in einem dpa-Gespräch: "Sie war sicherlich nicht eine verführte Künstlerin, weil sie zu genau wusste, wie man das Spiel spielt, zum Beispiel das ungewöhnlich viele Geld zu bekommen, um ihren kostspieligen Film realisieren zu können."