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Menschen in Glasgow: Tomorrow Is Always Too Long

Er trägt einen bekannten Namen, aber wirklich verwechseln kann man den bildenden Künstler Phil Collins mit dem Sänger Phil Collins nicht. Sie stammen beide aus Großbritannien, und das war es dann auch schon.

Von Wolfgang Marx, dpa 12.03.2016, 15:30

Berlin (dpa) - Der britische Filmemacher, visuelle Künstler und Dozent Phil Collins steht für ungewöhnliche Kunstaktionen und Projekte: Er ließ Obdachlose kostenlose Telefongespräche führen, die er mitschneiden, vertonen und auf Vinyl pressen ließ.

Bei Collins finden sich verfremdete Britney-Spears-Plakate ebenso wie Auseinandersetzungen mit dem Phänomen Teleshopping. Etwas Gewöhnliches darf man von dem Film Tomorrow Is Always Too Long (Original mit Untertiteln) also nicht verlangen, der in erster Linie ein liebevolles Porträt der schottischen Stadt Glasgow und ihrer Menschen ist.

Collins, der inzwischen in Berlin lebt, trifft sie beim Seniorenball, im Gefängnis, in Diskotheken, beim Bingo oder lässt ein Paar, das sich in jungen Jahren getrennt hatte, über seine Ehe im reifen Alter erzählen. Diese Momentaufnahmen sind ganz unspektakulär mit einem dokumentarischen Blick eingefangen - auf malerische Stadtansichten Glasgows muss man gänzlich verzichten.

Darum geht es Phil Collins in seinem eigenwilligen und bunten Arthouse-Film auch nicht. Er wirft einen Blick auf die Beziehungen von Menschen, spürt Interaktionen und ihren Störungen nach. Das Ganze verknüpft er mit einer Medienkritik und entlarvt auf äußerst unterhaltsame Weise die Scheinwelten des Fernsehens und des Internets. Letzteres bezeichnete Collins in einem Interview mit dem Berliner Stadtmagazin tip einmal als flach: Die soziale Interaktion in der digitalen Welt sei keine kollektive Erfahrung, weil die Menschen nicht gemeinsam dasselbe zur selben Zeit machen.

Und so sucht ein traurig dreinblickender junger Mann einen Partner über das Internet oder verheißt eine Wahrsagerin in einer simulierten TV-Verkaufsshow den Blick in die Zukunft, lässt plötzlich den Schleier fallen und beschreibt die Internet-Welt als schales Erleben: Der Klang einer hochfahrenden Festplatte beruhigt dich. Und dann wird auch noch Amor verhaftet, der König der Zweisamkeit...

Dabei schreitet Collins in seinem Stilmix elegant und munter über Genre-Grenzen hinweg. Neben Dokumentaraufnahmen stehen historische Bilder von Protestbewegungen, trifft Pop auf TV. Und damit sich die bunte Collage nicht in Beliebigkeit verliert, hat Collins seinem Film formal eine durchaus strenge Form gegeben: Scherenschnitt-Animationen (eine Party-Nacht in Glasgow) und Interpretationen der Darsteller von sechs Liedern der walisischen Musikerin Cate Le Bon geben dem non-narrativen Film Tomorrow Is Always Too Long einen eleganten Rhythmus, einen Musical-Touch und ein rechtes Maß an Unterhaltsamkeit.

Tomorrow Is Always Too Long