Das Theater der Altmark beschäftigt sich in dem Stück "Blackbird" mit dem Thema Pädophilie Missbrauch, Liebe oder war es beides?
Eine Liebe zwischen einem vorpubertären Mädchen und einem fast 40-jährigen Mann darf in unserer Gesellschaft nicht sein! Aber nur weil sie nicht erlaubt ist, ist sie deshalb nicht möglich, diese Liebe?
Stendal l Der schottische Autor David Harrower rechtfertigt oder entschuldigt nichts in seinem Stück "Blackbird". Er prüft verschiedene Möglichkeiten. Das Bühnenbild zu seinem Stück in der Stendaler Inszenierung zeigt zunächst eine Wand.
Die Bühnenarbeiter waren fleißig und haben gut gestapelt: Umzugskarton an Umzugskarton, vom Boden bis zur Decke in der gesamten Bühnenbreite. Dass dieses Gebilde nicht vorzeitig in sich zusammenfällt, hat wahrscheinlich auch viel Körpereinsatz im Verborgenen gefordert. Vor dieser symbolträchtigen Kistenwand (Ausstattung: Mark Späth) agieren die beiden Protagonisten: Annett Siegmund und Frank Siebers, alias Una und Ray.
Ray hat sein Leben in Kisten verstaut. Er präsentiert eine aufgeräumte Fassade. Wie es in den Kisten ausschaut, geht niemanden etwas an. Aus den Augen, aus dem Sinn.
15 Jahre nach dem Sex mit einer Zwölfjährigen
Doch die Wirklichkeit holt ihn ein: In Gestalt von Una. Fast genau 15 Jahre nachdem Ray mit ihr Sex hatte. 15 Jahre nach ihrem 12. und seinem 38. Geburtstag.
Er hat im Gefängnis seine Strafe abgesessen, sie hat Therapie und Spießrutenläufe in der Nachbarschaft ("Wir sind nie umgezogen!") hinter sich. Schnell ist klar: Beide haben nie wirklich verarbeitet, was geschehen ist. Ray hat alles verdrängt und weggepackt, Una hat sich nie über ihre eigenen Gefühle wirklich klar werden können. Alles wurde über ihren Kopf entschieden, die Menschen haben sie "wie ein Gespenst" behandelt. Haben über sie geredet, als ob sie nicht da wäre.
Una möchte ihre eigenen ambivalenten Gefühle verstehen, muss wissen, was eigentlich tatsächlich damals geschehen ist. War es "nur" Missbrauch eines Pädophilen? Oder war da doch mehr? Als Zwölfjährige schwärmte sie für diesen Mann, fühlte sich bei ihm als etwas Besonderes. Hat er sie lediglich benutzt?
Tal- und Bergfahrt der verschiedenen Gefühle
Als sie sein Bild durch Zufall in einer Anzeige entdeckt, spürt sie ihn auf und stellt ihn zum Psycho-Duell. Dieses Duell ist eine Tal- und Bergfahrt der verschiedenen Gefühle. Wut löst Trauer ab, aus Angriff wird Annäherung und dann wieder Anklage. Immer mehr Kisten werden geöffnet, die realen wie auch die anderen. Schmerzliches, halb Vergessenes wird ans Tageslicht gezerrt, andere Perspektiven und Aspekte tun sich auf. Je mehr das Geschehen von damals vor den Zuschauern entrollt wird, je genauer sie eigentlich über alles Bescheid wissen, desto weniger kann Unas Frage wirklich beantwortet werden. Missbrauch, Liebe oder beides?
Unter der Regie von David Lenard meistern Annett Siegmund und Frank Siebers dieses 90-minütige Psycho-Duell. Sie halten das Publikum bei der "Stange", - auch in den Szenen, die ein wenig zu langatmig sind, in den Momenten, in denen man des ewigen Hin und Hers überdrüssig wird. Doch beide Schauspieler holen sich die Aufmerksamkeit jeweils schnell wieder.
Am Ende gab es bei der Premiere am Karfreitag verdienten Applaus - nach einer kurzen Pause der Betroffenheit. Für alle, die sich nicht davor scheuen, ihre Gedanken auch einmal eine andere Richtung einschlagen zu lassen.
Die nächsten Aufführungen sind am Altmarktheater Stendal zu erleben am: 10. und 29. Mai, um 19.30 Uhr.