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"Noch ist Polen nicht verloren" feierte Premiere am Schauspielhaus Magdeburg Mit Leichtigkeit in den Überlebenskampf

Von Gisela Begrich 04.02.2013, 01:32

Vor 80 Jahren, am 30. Januar 1933, übernahm Hitler endgültig die Macht. Das Magdeburger Schauspiel widmete diesem Tag, seinen Folgen und heutigen Gefahren ein Wochenende mit Aktionen, Gesprächen, Musik und der Premiere von zwei Inszenierungen. Am Freitag zeigte das Ensemble "Noch ist Polen nicht verloren".

Magdeburg l Der Hollywood-Regisseur Ernst Lubitsch schuf Anfang der vierziger Jahre die Anti-Nazi-Filmkomödie "Sein oder Nichtsein" - gemeinsam mit Melchior Lengyel, der das Buch dafür schrieb. Diese politisch treffsichere, höchst komödiantische und handwerklich meisterhafte Arbeit verwandelte Jürgen Hofmann in ein Theaterstück, das in der Inszenierung von Uta Koschel zur Premiere im Schauspielhaus mit begeistertem Applaus aufgenommen wurde.

Der überaus unterhaltsame Abend bezieht seine Substanz aus einer spannenden Fabel (dem Überlebenskampf polnischer Theaterleute im von den Deutschen okkupierten Posen), Situationskomik und pointenreichen Dialogen.

Tom Musch (Ausstattung) erfand für seine Realisierung des Stücks "Noch ist Polen nicht verloren" ein schlüssiges und praktikables Bühnenbild. Beständig verändern sich Ebenen und Bezüglichkeiten, ist es hier noch die Bedrohung, standrechtlich erschossen zu werden, muss im nächsten Augenblick der überraschend aufgetauchte Verehrer dort verborgen werden, wo eigentlich der Ehemann schläft. Wenn Adolf Hitler nicht selbst erscheint, stellt ihn ein Schauspieler dar. Das Unbeschreibliche der prekären Situation verwandelt sich in das Beschreibliche einer theatralischen Aktion. Eine spielerische Situation stürzt in eine wirkliche und aus schlimmer Wirklichkeit rettet sich ein Komödiant in eine heile Welt. Für einen Moment. So viel Theater in der Welt und so viel Welt im Theater passiert selten und vor allem nicht in einer Zeit, wo für Theater gar keine Zeit gewesen ist vor lauter Welt. Der ständige Wechsel der Handlungsebenen gibt den Zuschauern Gelegenheit Nazis und Bühnenkünstler in ihren Allüren und Attitüden zu durchschauen und über sie zu lachen, wobei die Sympathien eindeutig verteilt sind. Wie bei einer Kindervorstellung dem Helden, so fliegen die Herzen des Publikums Josef und Maria Tura und ihren Kollegen zu. Das Bühnenwerk ist eine Hommage an die Theaterkunst, zugleich stärkt es den geschichtlichen Blick, ohne ihn durch wohlfeilen zeitgenössischen Klamauk zu trüben.

Ensemble zeigt sich der Aufgabe voll gewachsen

Der große literarische Text trifft auf ein Ensemble, das sich dessen Herausforderung voll gewachsen zeigt. David Emig, Iris Albrecht, Michael Ruchter, Andreas Guglielmetti, Jeremias Koschorz, Peter Wittig, Marléne Meyer-Dunker, Raimund Widra, Michela Winterstein, Silvio Hildebrandt, Ralph Martin (und alternierend die Kinder Viktor Grottke und Bruno Kliebsch) agieren allesamt vorzüglich in diesem Stück mit den vielen Ebenen und Bezüglichkeiten. Mit sichtlichem Spaß statten sie Vorgängen und Figuren mit komödiantischen, skurrilen oder grotesken Details aus. Freilich spielen die einen größere und andere kleinere Rollen.

Den Dreh- und Angelpunkt der Story bilden Josef und Maria Tura. Mit schöner Leichtigkeit wechselt Emig als Josef Haltungen und Situationen und beweist schauspielerische Akkuratesse und Phantasie gleichermaßen. Iris Albrecht als Maria Tura gibt perfekt die Diva mit Herz und kostet die vielfältigen Ansprüche ihrer Rolle mit deutlicher Spiellaune überzeugend aus. In Bezug auf die brillante Darstellung Michaela Wintersteins als SS-Gruppenführer Erhard und auch in Bezug auf Silvio Hildebrandts Interpretation des Schulz\' drängen sich Fragen auf: Beide überhöhen ihre Figuren gekonnt ins Groteske. Erliegt hier die Regisseurin der Versuchung, zugunsten unbändiger Spiellaune die Gefährlichkeit des Gegners aus dem Auge zu verlieren? Überwuchert das Komödiantische das Politische? Verliert sich die Gefahrensituation, die den Hintergrund des gesamten Stücks bestimmt? Die Entscheidung darüber liegt wohl im Auge des Betrachters. In jedem Fall ist zu sagen: Aus dem grandiosen Film wurde ein vorzügliches Theaterstück und aus diesem eine köstliche Inszenierung.