Rockmusik Jeder Song wird von jedem gelebt
„Wutfänger“ heißt das neue Album von Silly. Vorgestellt hat es die Band bei einem Konzert vor 200 Fans auf dem Brocken.
Ihr Album „Wutfänger“ ist wieder sehr politisch geworden. Warum?
Ritchie Barton: Es ist eine sehr politische Zeit, in der wir gerade leben. Für politische Texte war Silly schon immer bekannt und dafür, dass wir eine gute Mischung haben.
Haben Sie ein Lieblingslied auf dem Album?
Uwe Hassbecker: Es ist unser Baby. Und bei einem Baby liebt man die linke Hand auch nicht mehr als die rechte. Das Album ist ein Ganzes für uns.
Anna Loos: Wir haben zwei Jahre lag daran gearbeitet. Im Laufe des Prozesses wird jeder Song von jedem gelebt und bearbeitet. Dabei schieben sich immer wieder Nummern nach vorne. Aber es ist schon so, dass man letztlich alle liebt.
Wer beeinflusst Sie in Ihrer Musik?
Ritchie Barton: Das mit den Vorbildern ist eine Sache, die, wenn man als junger Musiker noch seine Sporen verdient, eine größere Rolle spielt. In den späteren Jahren – und das kann man bei uns durchaus sagen, außer bei Anna natürlich – tritt das in den Hintergrund.
Loos: Macht Euch nicht so alt! Ihr seid voll die Kindsköpfe, und ich bin viel erwachsener als Ihr!
Hassbecker: Wir sind nun ja schon eine Weile unterwegs. In der Zeit gab es viele Künstler und Stilrichtungen, die gekommen und gegangen sind. Wir sortieren die schlechten Sachen aus und sammeln die guten ein. Das sind die Sachen, die uns beeinflussen.
Barton: Was jetzt nicht heißen soll, dass wir klauen. Wir hören Musik sehr bewusst und das spiegelt sich in dem wider, was wir machen.
Wie bringen Sie es unter einen Hut, ein Album aufzunehmen und Familie zu haben? Sie haben ja keinen normalen Acht-Stunden-Job.
Loos: Das stimmt. Man nimmt die Arbeit immer mit nach Hause. Dieser typische Spruch, „Ich danke meiner Familie, weil sie alles mitmacht“, ist für uns nicht nur ein Spruch. Egal, ob beim Songwriting-Prozess oder in der Produktion – man ist nie richtig anwesend. Es ist eine leidenschaftliche Arbeit, die man nicht an der Haustür ablegen kann.
Hassbecker: Die Familien tragen das definitiv mit, das wäre sonst gar nicht möglich. Sie müssen schon viel entbehren, besonders unsere Kinder.
Barton: Viele denken, dass sie am meisten auf uns verzichten müssen, wenn wir auf Tournee sind. Aber wenn wir ein neues Album aufnehmen, ist es so, dass wir noch nicht wach sind, wenn die Kinder aus dem Haus gehen, und wir noch nicht zu Hause sind, wenn sie ins Bett müssen.
Loos: Bei dir. Ich bin immer wach, wenn meine Kinder zur Schule gehen, und ich bringe sie ins Bett, bevor ich weiterarbeite.
Sie haben sehr unterschiedliche Charaktere. Gibt es viele Reibereien in einem Schaffensprozess?
Loos: Ja, eine Menge. Es geht ja darum, das Ding gut zu machen. So ein Album besteht aus vielen Songs und verschiedenen Komponenten, da gibt es viel, worüber man streitet. Wir haben vier verschiedene Geschmäcker. Die Kunst ist, es als Band zu schaffen, dass es am Ende kein fauler Kompromiss wird und für alle toll ist. Dass das gemeinsam geschaffen wird, was einer von uns allein nicht schaffen kann.
Spielen Sie die unfertigen Songs Ihren Familien vor?
Loos: Wir haben dieses Mal fast bis zum Schluss niemandem etwas vorgespielt. Wir wollten es, ohne dass uns andere Meinungen unterbewusst beeinflussen, so machen, dass wir es gut finden. Erst als alles fertig war, durften sie es hören. Meine Familie findet es geil.
Jäcki Reznicek: Meine auch.
Hassbecker: Meine Tochter ist die erste, die alle Texte auswendig kann. Sie ist zehn.
Barton: Meine auch. Zu dem Titel „Zwischen die Zeilen“ haben sich die beiden eine Choreografie einfallen lassen. Meine Frau sagt, das Album ist ein nächster, qualitativer Schritt.
Welche Live-Auftritte sind Ihnen im Gedächtnis geblieben?
Loos: Die ersten Konzerte, als wir noch keine eigene Platte hatten, sondern mit dem Album „Paradies“ aufgetreten sind. Das konnte die Band ja nie live aufführen, weil Tamara krank geworden ist (Tamara Danz war die Frontfrau von Silly, sie starb 1996, Anm. d. Red.). Wie die Leute bei den ersten Konzerten mit so einer „Was wird das jetzt werden“-Haltung in den Theatersesseln saßen.
Ein super Moment war der Bundesvision Song Contest (Oktober 2010, Anm. d. Red.). Wir haben nur gehofft, nicht Letzte zu werden. Und dann sind wir so knapp auf dem zweiten Platz gelandet hinter Unheilig.
Hassbecker: Damals sind wir für Sachsen-Anhalt ins Rennen gegangen ...
Loos: Und auf dem Brocken war die Voting-Party, Wahnsinn.
Waren Sie selbst schon einmal zuvor auf dem Brocken?
Loos: Als Kind war ich ganz oft mit meinen Eltern im Harz.
Barton: Ich war schon oft hier.
Reznicek: Ich traue es mich gar nicht zu sagen, aber ich bin zum ersten Mal hier.
Hassbecker: Ich auch.
Ritchie, Sie stammen aus Haldensleben. Ist es etwas Besonderes, in Sachsen-Anhalt, auf dem Brocken, zu spielen?
Barton: Ich bin jetzt länger in Berlin, als ich in Sachsen-Anhalt gewohnt habe. Aber dadurch, dass meine Familie hier noch lebt, ist es immer ein kleines Heimspiel. Dass ich mal auf dem Brocken spiele, hätte ich mir nie vorstellen können. Das ist etwas Besonderes, das habe ich auch den Kollegen schon den ganzen Tag gesagt.