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Kolumne Mutti und die Macht

Von Heinz Kurtzbach 21.10.2010, 04:14

Horst vom Sportlereck ist ein Netter – immer ein fröhliches Wort auf den Lippen, ein kühles Getränk im Angebot und ein offenes Ohr für jedermann, also auch für seine Frau. Die kenne ich schon seit den Tagen mit dem Fahnenappell. Sie heißt Lilo. Lilo ruft ab und zu bei Horst an. Dann sagt Horst immer "Hallo Mutti", obgleich seine Mutti schon lange auf Wolke 7 schwebt. Lilo ist Mutti. Nur Horst und Lilo wissen, warum. Aber: "Hallo Mutti …" Ich nehme an, Mutti überhört das regelmäßig. Denn "Mutti" als Kosename ist – sagen wir mal – wenig optimal. Gelinde gesagt.

"Mutti", so es nicht die tatsächliche und einzige Mutti ist, klingt immer ein wenig herablassend, es erinnert an Küche, Kinder, Kirche. An das Heimchen am Herd. "Mutti" ist das Wesen mit dem besten Apfelkuchen der Welt und weiß immer, wo des Hausherren Filzlatschen stehen. "Mutti" ist die Beste – und irgendwie gestern. Ist Angela Merkel von gestern?

Auf jeden Fall ist unser aller Kanzlerin "Mutti". Ihr Spitzname. Spitznamen sind Schicksal. In den Berliner Fluren der Macht hallt es hin und her, wenn "Mutti" die Richtlinien der Politik bestimmt: "Mutti" hat gesagt, hat nicht gesagt, hat gemacht, wird sich schon was einfallen lassen und: "Lasst das nicht die Mutti hören". Und wenn doch?

Wenn doch, wird Mutti aber böse und fängt an zu regieren. Hat sie jetzt jedenfalls gesagt, und alle waren mächtig erschrocken. Mutti weiß eben, wann was gefordert ist. Jetzt ist regieren gefordert, denn die Zeiten sind schwierig und Mutti ist etwas Schlimmes widerfahren: Mutti ist nicht mehr die mächtigste Frau der Welt, weil sie "in einer zerbrechlichen Koalition regiert und eingeklemmt ist zwischen FDP und CSU".

Das hat das US-Magazin "Forbes" entschieden, in dessen Ranking der 100 mächtigsten Frauen der Welt die Kanzlerin vier Jahre auf Platz eins rangierte und nun auf Platz vier abgerutscht ist, womit sie nur noch wenige Plätze vor Lady Gaga liegt. Das ist gaga. Denn Mutti Merkel ist heute nicht weniger mächtig als vor vier Jahren, trotz Guido Westerwelle und Horst Seehofer. Nur weil Frau Obama die Kostüme besser stehen, steht die nun auf Rang eins.

Diese Amis! Keine Ahnung von der Macht deutscher Muttis und deutscher Politik. Aber unterschätzen wir die Amerikaner nicht. Die wissen schon, warum sie Michelle ins Weiße Haus gewählt haben – wegen Barack und der Macht, denn: "Wenn das Paar", sagt der Kölner Paartherapeut Peter Wattler, "auf Augenhöhe miteinander spricht, dann hat der Partner einen starken Einfluss auf Entscheidungen." Und Michelle Obama, liest man weiter, hat starken Einfluss genommen auf die Frage der Schulmilch an amerikanischen Schulen.

Hat man schon einmal gehört, dass Professor Sauer, Angela Merkels Mann, Einfluss genommen hätte auf die deutsche Schulmilchfrage? Eben!

Wenn Herr Sauer im Kanzleramt das Sagen hätte wie Michelle Obama im Weißen Haus, wäre Angela Merkel wahrscheinlich immer noch die mächtigste Frau der Welt. Aber Mutti lässt ihn ja nicht.

Ach, ja. Wir Deutschen, die "Muttis" und die Macht. Eine unendliche Geschichte. Aber Horst hat’s geschnallt: "Kannse ruhig druff vazichten", hat er gesagt, und: "Hauptsache, sie kriegt die Gesundheitsreform hin." So isset. Auf Forbes Ranking kann sie verzichten. Auf den Titel "Mutti" freilich auch. Ist einfach suboptimal. Wirklich. Weil – Gespött ist der Feind der Macht. Die hat nun mal – Mutti. Und will sie behalten.