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Nicht mal Meuselwitz

17.11.2011, 04:21

Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal mit dem Zug gefahren bin. Nun habe ich es wieder getan. Habe mir unter Anleitung einer zwölfjährigen Schülerin am Automaten eine Fahrkarte gezogen, mich zu meinem Zug durchgefragt und dann ging es auch bald los.

Reisen mit einem Zug hat den Vorteil, dass man seine Herkunft mit Worten erklären kann, während auf einem Parklatz an der Autobahn das Nummernschild mehr als ausreichend ist. Zumal sich jeder seine Meinung über dein Bundesland längst gebildet hat und nichts Neues mehr wissen will.

Warum ich fremde Leute immer wieder mit meiner Heimat konfrontieren muss, weiß ich nicht. Jedenfalls teilte ich meinem Gegenüber im Zug mit, woher ich kam. Der nickte beifällig, grübelte aber, als läge mein Ländchen jenseits des Urals. Hatte aber das Glück, einen gut informierten Nachbarn zu haben, der den Namen sogar unseres Landesvaters kannte und ihn auch sagte. Womit er einen weiteren Fahrgast einbezog, der zum Spaßen aufgelegt war. "Dann habt ihr im Landtag ja immer schönen Gesang. Und die Mädchen reißen sich die Blusen vom Leib."

Er hatte die Lacher auf seiner Seite. Aber da wir die Witze über unsere eigenen Politiker lieber selber machten, brachte ich das Gespräch von der Politik schnell weg und auf den Fußball. Was immer funktioniert.

Ehe ich eine bedeutende Mannschaft unseres Ländchens nennen konnte, tat sich ein anderer Spezialist hervor.

"Meuselwitz", sagte er. Der guckte immer bei Werder Bremen II. Die Meuselwitzer hätten ihm sehr gut gefallen. Exaktes Stellungsspiel, Pressing und schnelle Leute auf den Flügeln. In einigen Phasen wurde der Fan regelrecht an Bremen I erinnert. Mein Bundesland brauchte sich also fußballmäßig nicht zu verstecken.

Obwohl ich ziemlich sicher war, dass dieses Städtchen mit dem lustigen Namen nicht in Sachsen-Anhalt lag, ließ ich das nicht sofort heraus. Warum sollte man auch ein Lob leichtfertig vertun?

Außerdem kam es mir in dieser für mich günstigen Situation bald so vor, als hätte dieser Fremde überhaupt Recht und ich wäre vielleicht geographisch nicht ganz auf der Höhe und Meuselwitz wäre Teil von unserem Bindestrichland.

Aber einer war dabei, der dem Bremer widersprach und sagte, dass vierte Liga ja nun auch nicht gerade das war, was sich der Fußballfreund erträumt. Und das meinten nun auch andere und die Stimmung in der Eisenbahn wandte sich radikal gegen mich.

Man machte mich regelrecht für die Fußballmisere in meinem Bundesland verantwortlich. Wenn wir nicht wenigstens die Meuselwitzer hätten, dann Spitzenfußball gute Nacht!

Dann ging es noch weiter bergab. Ein Fahrgast zweifelte nämlich, ob Meuselwitz denn überhaupt in Sachsen-Anhalt lag. Genau die Bemerkung, die ich am wenigsten gebrauchen konnte. Ein Glück nur, dass ich meinen Zielbahnhof jetzt erreicht hatte. Durchs offene Fenster hörte ich auf dem Bahnsteig noch den Satz: "Nicht einmal Meuselwitz!"

Ob noch gelacht wurde, weiß ich nicht. Hastig verließ ich den Bahnhof. In der Gewissheit, dass mich in einem Zug so schnell kein Mensch mehr sehen würde.