Atelierbesuch bei Heidi und Jürgen Hütter in Wernigerode Poesie in weißem Porzellan
Nur wenige Meter von den Touristenströmen, die Wernigerode täglich durchziehen, gleich hinterm Weißen Hirsch, liegt die kleinste Porzellanmanufaktur Europas, die Heidi und Jürgen Hütter hier seit mehr als 30 Jahren betreiben. Volksstimme besuchte die beiden jüngst mit dem Wernigeröder Kunstpreis geehrten Künstler in ihren Manufakturräumen.
Von Jörg-Heiko Bruns
Wernigerode. Das Haus atmet Geschichte: Wernigeröder Stadtgeschichte und Hütter-Geschichte, DDR-Geschichte und solche der Neuzeit. Die einstige Fleischerei in der Mittelstraße 6 stand zum Verkauf, Heidi und Jürgen Hütter suchten schon lange von Erfurt aus ein geeignetes Projekt für die Arbeit mit Porzellan. Das setzte DDR-Raritäten wie Starkstrom- und Gasanschluss voraus. Dann machte eine Annonce in der Wochenpost auf dieses Wohn- und Geschäftshaus aufmerksam und die Hütters gingen sofort in die Spur.
Jürgen Hütter wurde ja in Wernigerode geboren, ist hier aufgewachsen und der damalige Bürgermeister war an der Ansiedlung von Künstlern interessiert. Natürlich konnten die beiden im etwas maroden Gemäuer nicht gleich loslegen und ihr an der Burg Giebichenstein in Halle erworbenes Wissen und Können umsetzen.
Mit dem Abitur hatte Jürgen Hütter auch den Facharbeiterbrief eines Maurers erworben, was ihm nun sehr zugute kam. Der studierte Formgestalter, heute Designer benannt, konnte nun als Maurer, Fliesenleger und Anstreicher das Haus Stück für Stück vollenden.
"Früher hatten wir mehr Zeit für unsere Kunst"
Jürgen Hütter, genannt Pawel, hat viel Kraft investiert, Eigenleistung hieß das damals, und hat sich damit einen Traum erfüllt. Der eigentliche Traum von einem Leben mit dem "Weißen Gold" war zwar seit den Diplomen 1974 und 1976 nicht ausgeträumt, musste aber bis 1986 sozusagen auf Sparflamme gehalten werden: "Erst ab 1986 konnten wir von einer tatsächlichen und dauerhaften Arbeitsfähigkeit in unseren Ateliers ausgehen", erzählt Jürgen Hütter.
Natürlich entstand trotz der Belastungen mit dem Ausbau immer wieder das bald berühmte Hütter-Porzellan, das auf zahlreichen Ausstellungen zu sehen war. Zunächst waren die Handschriften von Heidi und Jürgen Hütter noch zu unterscheiden, heute sind sie beide wie im privaten Leben miteinander verschmolzen.
Erinnert sei neben den zahlreichen Personalausstellungen an Ausstellungsbeteiligungen in Linz, Mailand, Vilnius, Sydney, Mannheim und natürlich auch an die großen Kunstausstellungen der DDR wie die in Dresden, die Quadriennalen des Kunsthandwerks in Erfurt oder die DDR-Keramik-Ausstellungen in Magdeburg.
Hier und anderswo fielen die Exponate der Hütters irgendwie immer aus dem üblichen Rahmen, denn dem schwierigen Werkstoff Porzellan widmeten sich nur wenige Künstler. So resümieren auch beide: "Eigentlich passen wir mit unserem Porzellan nicht hierher", damit ist zum einen Wernigerode und zum anderen das große Umfeld der Keramik gemeint.
Und dann kommt noch die neue Marktlage hinzu. Hatten die Hütters bis 1990 manchmal Schwierigkeiten, allen Wünschen nach ihren frei aufgebauten Porzellanen nachzukommen, ernährt dies heute seinen Meister nicht mehr. In ihrem Laden im Markt 1 werden deshalb auch ganz andere Exponate angeboten und es ist schon ein besonderes Ereignis, wenn beispielsweise eine 90-jährige Kundin die Eleganz und Einmaligkeit des weißen, zeitlosen Hütter-Porzellans erkennt und sagt: "Das muss ich kaufen und wenn ich mich nur einen Tag daran erfreuen kann." "Früher hatten wir mehr Zeit für unsere Kunst, heute sind wir immer irgendwie unter Druck", sagt Heidi Hütter, "aber wir bleiben unserem Stil treu."
Dafür finden sie immer noch kollegiale Unterstützung in thüringischen Porzellanmanufakturen wie Lichte und Wallendorf, weil sich dort der komplizierte Vorgang des mehrmaligen Brennens wirtschaftlicher verwirklichen lässt.
"Pures Weiß gibt es überall, also kommt Dekor hinzu"
Jetzt werden die ursprünglich aus Porzellanplatten aufgebauten exquisiten Stücke auch manchmal gegossen. Die früher schon ganz besonderen Dekors zeichnen sich immer noch durch Sparsamkeit aus. "Pures Weiß gibt es überall, sagen uns die Kunden, also kommt noch etwas Dekor hinzu", fügt Heidi Hütter an. Da gibt es aber keine zugemalten Schalen oder Tassen, eher leuchtet vereinzelt eine Blüte des Löwenzahns mit langem Stiel, oder die Blüte eines Stiefmütterchens zieht die Blicke auf sich.
"Am Anfang machte das schwer berechenbare Porzellan mit uns, was es wollte, es gab viel Schwund als Lehrgeld zu zahlen, aber heute sind wir mit unserem Werkstoff Porzellan glücklich verheiratet und unser Design soll auch immer etwas Besonderes bleiben", ergänzt Heidi Hütter. Der Wernigeröder Designer Lothar Ameling, Studienfreund aus alten Burg-Zeiten in Halle, hielt zur Verleihung des Kunstpreises 2011 an die Hütters eine beeindruckende Laudatio und stellte fest, dass das alte Designerideal aus Bauhauszeiten heute der Aufgabe des Kunsthandwerks nicht mehr gerecht wird. "Die Industrie kann das besser. Es gilt, die Nischen handwerklicher Authentizität zu finden. Genau diese, meine ich, aus den gebauten und montierten, dekorierten und modellierten Formen der Hütters herauslesen zu können."