Ein mahnendes Leben Promi-Geburtstag vom 30. Oktober 2016: Ruth Klüger
Sie gilt als unsentimental und unbestechlich. Ihre Haltung zur Nazi-Vergangenheit Deutschlands ist eindeutig. Für Ruth Klüger gibt es kein Verzeihen. Die jüdisch-amerikanische Holocaust-Überlebende hat erst im Alter die große Öffentlichkeit gesucht und gefunden.
Wien (dpa) - Gedichte sind ihr Lebenselixier - eigene und fremde. Die Gefangenschaft in den Konzentrationslagern der Nazis hat sie nach eigenen Worten auch durch die Liebe zur Lyrik überlebt.
Als damals zwölfjähriges Kind dichtete sie im Vernichtungslager Auschwitz: Fressen unsere Leichen Raben? / Müssen wir vernichtet sein? /Sag, wo werd ich einst begraben? / Herr, ich will nur Freiheit haben / und der Heimat Sonnenschein. Auf einem Todesmarsch von Lager zu Lager gelang der 1931 in Wien geborenen Ruth Klüger mit ihrer Mutter die Flucht.
Als 60-Jährige schrieb sie ihre Erinnerungen auf: weiter leben - Eine Jugend wurde der erfolgreiche Start einer späten Karriere als jüdisch-amerikanische Literatin. Mit vielen Preisen geehrt wird Klüger am heutigen Sonntag 85 Jahre alt.
Wir Überlebende sind nicht zuständig für Verzeihung, sagte sie einmal der österreichischen Nachrichtenagentur APA. Und: Ich halte Ressentiment für ein angebrachtes Gefühl für Unrecht, das nicht wiedergutzumachen ist. Zu groß waren und sind die Enttäuschungen, die Kränkungen, die Trauer um getötete Menschen in Nazi-Deutschland. Das Deutschland von heute nötigt ihr aber Respekt ab.
Als Festrednerin im Deutschen Bundestag zum 71. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz-Birkenau schilderte sie im Januar nicht nur ihr Leid von damals, sondern verbeugte sich auch vor der deutschen Willkommenskultur. Dieses Land, das vor 80 Jahren für die schlimmsten Verbrechen des Jahrhunderts verantwortlich war, hat heute den Beifall der Welt gewonnen dank seiner geöffneten Grenzen und der Großzügigkeit, mit der Sie syrische und andere Flüchtlinge aufgenommen haben und noch aufnehmen.
Die Geschichte prägt auch ihre persönliche Beziehungen. Als Martin Walser sein umstrittenes Buch Tod eines Kritikers 2002 veröffentlichte, rechnete Klüger in einem offenen Brief mit dem deutschen Autorenfreund ab, dem sie - wie andere auch - antisemitische Tendenzen unterstellte. Sie habe sich durch die Darstellung eines Kritikers als jüdisches Scheusal betroffen, gekränkt, beleidigt gefühlt.
Klüger wurde als Tochter eines jüdischen Frauenarztes in Wien geboren. Im September 1942 deportierten sie die Nazis mit ihrer Mutter ins KZ Theresienstadt, dann nach Auschwitz-Birkenau und schließlich nach Christianstadt. Nach Kriegsende lebten Mutter und Tochter zunächst im bayerischen Straubing. 1947 emigrierten sie in die USA. In New York und in Berkeley im US-Bundesstaat Kalifornien studierte Klüger Bibliothekswissenschaften und Germanistik, wurde Expertin für mittelalterliche Literatur, Hochschullehrerin und Literaturkritikerin. Heute lebt sie meist in den USA, hat aber auch in Göttingen ein Zuhause.
Fiktion ist nicht ihr Genre. Ich hab's mehrmals versucht, aber ich kann keine G'schichterln erzählen. Es ist ein ganz besonderes Talent, und je öfter ich es versuche, desto mehr bewundere ich die Romanciers und Geschichtenschreiber, umschrieb sie ihre Vorliebe fürs Autobiografische und Sachliche (Frauen lesen anders, 1996, Was Frauen schreiben, 2010).
Dass sie bei ihren Reden als Holocaust-Überlebende vorgestellt wird, stört sie nicht. Was sie stört, ist das aus ihrer Sicht sprachlich schiefe Bild des berühmten Brecht-Zitats Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch über die Gefahr einer wiederaufkommenden Barbarei. Der Faschismus sei Männer-Sache gewesen. Die Machthaber waren alles Männer. Deswegen soll man nicht von einem Schoß sprechen. Die Metapher stört die Germanistin.