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Liedermacher, Poet und Autor Reinhold Andert: Der letzte Vertraute Honeckers

Reinhold Andert war so etwas wie ein Star in der DDR, bis er in Ungnade fiel. 1990 wurde er mit den Interviews mit dem Parteichef sofort wieder bekannt. Ein Gespräch mit einem Unbequemen.

Von Uwe Kreißig 25.09.2024, 17:33
Reinhold Andert, September 2024 in Berlin
Reinhold Andert, September 2024 in Berlin Foto: kreißig

Er ist bedächtig, witzig, ironisch wie selbstironisch und verfolgt die Dinge in der Politik sehr genau. Liedermacher und Autor Reinhold Andert steht auch für die Brüche der deutschen Geschichte. Vertreibung, Studium, Frontmann der DDR-Singebewegung, der Fall in Ungnade und die Wiederkehr nach der Wende. Eine Begegnung in Berlin mit dem vielleicht letzten Vertrauten von DDR-Staatschef Erich Honecker.

Sie waren von 1970 bis 1973 Chef des legendären Oktoberklubs. Welche Erinnerungen sind damit verbunden?Das war schon eine schöne Zeit, auch weil wir jung waren. So richtig Chef war ich auch nicht – bei uns ging es ja relativ demokratisch zu. Ich war damals Student der Philosophie; na ja, einer musste ja die politische Linie durchsetzen. (Andert lacht.)Der Oktoberklub ist in den Sechzigern in der Volksbühne aufgetreten: im großen Saal?Ja, und der Saal war auch voll. Die Leute kamen freiwillig, da musste die FDJ niemanden reintreiben. Es war auch nicht gratis. Manchmal hat das Publikum auch mitgesungen. Es gab ja nicht nur Klassenkampf. Auch Volkslieder, Folk. In den Achtzigern hatten Sie faktisch ein Auftrittsverbot, ohne dass es dafür ein Papier gab. Wie lief das ab?Ein Schriftstück gab es nicht. Nur der Bürgermeister von Ludwigsfelde hat mir mal geschrieben, dass ich in Stadt und Kreis Auftrittsverbot habe. Bei den Verlagen gab es wirklich eine schwarze Liste, was ich aber erst nach der Wende erfuhr. Die ging von A bis Z und da stand ich ganz oben. Ich hatte mich schon gewundert, warum die alle mein Manuskript für ein Thüringen-Buch ablehnen. Aber weil ich aus der Partei rausgeflogen war, sagten sie sich die Verantwortlichen: „Der besser nicht. Da muss was sein.“ Erst 1989 konnte dann mein Wyssozki-Buch erscheinen.Wie fühlt man sich da?Das hat mich natürlich getroffen. Aber ich war so klug, nicht vom Balkon zu springen. Die DDR hatte von der Struktur ja viel von der katholischen Kirche, was Struktur und Selbstverständnis der Obrigkeit angeht. Und wer gegen die unbefleckte Empfängnis angeht, der muss dann eben die Folgen tragen.

Also so etwas wie die Cancel Culture heute.Ja. Das ist unabhängig von der Gesellschaftsformation. – Im Rundfunk gingen die Bänder mit meinen Aufnahmen sofort in den Giftschrank.

An seinem letzten Abend in der DDR vor dem Konzert in Köln 1976 soll Wolf Biermann mit Margot Honecker gesprochen haben. Hat Biermann mal etwas darüber gesagt?Biermann wollte mich verklagen, weil ich ihm angeblich unterstellt habe, er habe seine Ausbürgerung organisiert. Leider hat er es nicht gemacht.Wer war Erich Honecker: Überzeugungstäter oder Blender?Weder noch. Er hat sich den Königsmantel umgelegt, wie Rudolf Bahro einmal gesagt hat. – Honecker war nicht hinterlistig, dafür war er zu naiv. Mit seinem Intellekt konnte er auch nicht mit der Macht umgehen. Er hatte nur Schranzen um sich herum und ist auf ihr Getue reingefallen.Wie wirkte das Interview mit einem Staatsmann, der noch ein paar Tage vorher über 16 Millionen Menschen mehr oder weniger bestimmen konnte? Auf ihn und auf Sie?Ich dachte, er ist ein gebrochener Mann, aber das war gar nicht so. Ich wäre da völlig fertig gewesen. „Hallo“, rief er mir zu, als wir uns wiedersahen. Er hatte nur einen unglaublichen Rechtfertigungsdruck. Es gab ja Berichte, er hätte sich das Silberbesteck der Hohenzollern angeeignet und solche Sachen. Doch was er hatte, passte eigentlich in eine kleine Garage. – Zuerst wollten wir gar kein Buch machen, aber dann kamen ständig Anrufe wegen Interviews mit Honecker; auch Stefan Heym rief deswegen an. Und so haben wir dann die Gespräche aufgenommen. Für die Buchfassung wurde dann alles freigegeben.Sie sind gebürtiger Sudetendeutscher. Was für eine Rolle spielte das für Ihre Eltern und für Sie?Ich bin ja in Thüringen aufgewachsen. Aber meine Mutter, die ist nie heimisch geworden. Die Schlesier und die Sudetendeutschen sind nie angekommen.Bemerkenswert war auch Ihr Buch über DDR-Sportchef Manfred Ewald. Was war der Anlass?Ich kannte ihn noch, als er noch Chef war. Er hatte mich als Unterhalter für die Belohnungsreise der Olympioniken der DDR auf der „Völkerfreundschaft“ eingeladen. – Er wollte erzählen und sich rechtfertigen. Ewald hatte seine Biografie in einem entscheidenden Punkt gefälscht, denn er war Mitglied der NSDAP gewesen. Er hatte dann erklärt, die Kommunistische Partei hätte ihn beauftragt, zum Schein dort einzutreten, sozusagen für den Widerstand direkt in der Partei. Das war natürlich Quatsch.Beschreiben Sie bitte den Zustand unseres Landes.Das kann man nicht. – Das Gegenteil von gut. – Irgendwie habe ich den Eindruck, dass es eine sehr gefährliche Situation ist, zum Beispiel mit den neuen US-Raketen in Deutschland.Tritt Reinhold Andert noch auf?Das ist vorbei. Meinen letzten Auftritt hatte ich anlässlich meines 80. Geburtstages am 20. April im Café Sibylle in Berlin. Ich hatte vorher zwei Anzeigen im „Neuen Deutschland“ und in der „Jungen Welt“ geschalten und zur Gründung des „BRA“ eingeladen, dem „Bündnis Reinhold Andert“. Erst sollte das Parteiprogramm vorgestellt werden, dann künstlerische Beiträge folgen. Einige, die kamen, haben das mit der Bündnis-Gründung für echt gehalten ... Es wurde ein schöner Abend.Die ehrgeizigen Alten haben zwar Arme und Beine dem Gewimmel entzogen; aber ihr Innerstes, ihre Neigung, ist mehr als je in der Welt verstrickt, schrieb Michel de Montaigne in den „Essays“. Tja, das ist vielleicht so. – Dadurch, dass man Nachkommen gezeugt hat, kannst du aber nicht nur Obacht darauf geben, wo deine Grabstätte ist. Da muss man schon in der Welt bleiben.

Reinhold Andert beim Literaturfestival der Berliner Jugend im Jahr 1968.
Reinhold Andert beim Literaturfestival der Berliner Jugend im Jahr 1968.
Foto: Bundesarchi/CC BY-SA 3.0 de