Romantischer Expressionist - Emil Noldes 60. Todestag
Farbstarke Gemälde und Aquarelle - so kennt man Emil Nolde. Doch wie konnte der norddeutsche Künstler das schaffen, für das er geliebt wird?
Neuenkirchen (dpa) - Um das gewaltige Werk Das Leben Christi im früheren Wohnhaus Emil Noldes nahe der dänischen Grenze zeigen zu können, musste erst einmal der Fußboden raus. Die ehemalige Werkstatt musste abgesenkt, ein Fenster zugemauert werden.
Doch wer den Expressionisten verstehen will, kommt auch 60 Jahre nach dessen Tod nicht an diesem größten Gemälde Noldes (1867-1956) vorbei. In kaum einem anderen Werk wird seine Wende zur Moderne so sichtbar.
Sechs Meter breit, knapp 2,40 Meter hoch, hat das Polyptychon neun Szenen - doch ein Motiv will so gar nicht dazu passen. Nicht zur Jahresausstellung Das Spätwerk, nicht zu Nolde. Es ist der Kuss des Judas, mit feinen Pinselstrichen, geradezu impressionistisch, den Nolde 1911 schuf.
Er malte das fromme Bild kurz nachdem er eine schwere Trinkwasservergiftung überlebt hatte. Die Bibel diente ihm als Ideengeber, sagt Christian Ring, Direktor der Nolde Stiftung Seebüll. Ideen, von denen sich der deutsche Künstler mit dem dänischen Pass in den acht anderen Szenen bereits lösen sollte.
Von dort an, sagt Ring, habe Nolde aus sich selbst heraus gemalt. Es scheint, als wollte sich Nolde für das Judas-Motiv sogar rechtfertigen: Er schrieb, es sei ihm nur um das Licht der Fackeln im Garten Gethsemane gegangen, sagt die Kuratorin Caroline Dieterich.
Für seine Kunst rechtfertigen müsste sich der religiös erzogene Bauernsohn heute nicht mehr. Seine Aquarelle und Gemälde hängen in Museen weltweit, die Nolde-Stiftung in der weiten Marschlandschaft besuchen 62 000 Menschen pro Jahr.
Dass Noldes ungestümes und farbenfrohes Œuvre so erfolgreich wurde, hatte er auch seiner dänischen Frau Ada zu verdanken. Strategisch kümmerte sie sich um die gemeinsamen Kontakte nach Hamburg, Berlin oder Kopenhagen, zu Förderern wie Gustav Schiefler oder Sammlern wie Paul Rauert. Ohne diese Frau hätte es den Kosmos Nolde gar nicht gegeben, ist Dieterich überzeugt. Zumal Nolde in der Künstlergruppe Brücke um Ernst Ludwig Kirchner als Ältester nur wenige Jahre wirkte.
Häuser, Windmühlen oder Entwässerungsgräben blendete Nolde in seinen Werken oft aus. Es geht ihm nicht ums wirkliche Abbilden, ergänzt Caroline Dieterich. Das Ekstatische, das Zwischenmenschliche habe ihn gereizt, kombiniert mit seiner Maltechnik, bei der er die Farbe mit meterlangen Pinseln geradezu auf die Leinwand schlug.
Dabei sei auch die karge wie faszinierende Landschaft Nordfrieslands ein Schlüssel zu Noldes Werk. Ich musste abends selbst mal mit dem Auto ranfahren, um das Farbenspiel des Abendhimmels aufzunehmen, erzählt die Exil-Schwäbin Dieterich über ihren Nolde-Moment. Das gab ihm wohl mehr als seine Südseereise.
Auch politisch liebäugelte der von den Nazis verfemte Künstler mit vermeintlich nordischen Ideen, galt als Anhänger des Faschismus - und kritisierte etwa den jüdischstämmigen Max Liebermann. 1934 trat er der Nationalsozialistischen Arbeitsgemeinschaft Schleswig (NSAN) bei und buhlte bei den Machthabern um Anerkennung. Das macht es so schwer, dass der Maler, der diese grandiose Kunst geschaffen hat, leider kein Widerstandskämpfer war, sagt Ring. Seine genaue Rolle ist bis heute ungeklärt. Die Wissenschaftler Aya Soika (Bard College Berlin) und Bernhard Fulda (Cambridge) wollen dieses Kapitel aufarbeiten.
Diese dunkle Periode ist umso verwunderlicher, als Noldes Werke seit seiner Wende im religiösen Zyklus so radikal expressionistisch waren, dass sie so gar nicht zu einer Volksgemeinschaft passten, wie sie die Nazis propagierten. Wer Noldes Farben mal erlebt hat, dürfte ihm aber dankbar sein, dass er sich zumindest künstlerisch dem nicht anpasste. Denn hätte er, wie an der Akademie, weiter Tizian kopiert, wäre die Kunst um einen wichtigen Wegbereiter der Moderne ärmer.