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Entrüstung über die Thesen des Buches "Der Kulturinfarkt" hält an / Autoren regen Halbierung der Förderung an "Solche plakativen Gedankenspiele sind gefährlich"

15.03.2012, 03:11

Düsseldorf (dpa) l Richtig wütend reagiert der deutsche Kulturbetrieb gegenwärtig auf ein Buch, das noch gar nicht auf dem Markt ist. "Der Kulturinfarkt" heißt das Werk von vier Kulturexperten, das am 20. März erscheint.

Vorab provozierten sie im "Spiegel" mit der These, dass man auf die Hälfte aller Theater, Museen, Bibliotheken, Orchester in Deutschland eigentlich verzichten könnte. "3200 statt 6300 Museen in Deutschland, 70 staatliche und städtische Bühnen statt 140, 4000 Bibliotheken statt 8200 - wäre das die Apokalypse?", fragt das Autorenquartett. Der Kulturbetrieb verteidige "unter allen Umständen seine Privilegien", konstatieren die Autoren. Jeder Kulturmanager strebe "in den Beamtenstatus". "Die Welt mag untergehen, Deutschland geht ins Theater", schreiben sie.

Die Leiterin des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien, Monika Grütters (CDU), distanzierte sich von den Thesen. Die Autoren redeten einem Kulturbegriff das Wort, der Kultur als Produkt begreife und es marktgängig machen wolle, sagte sie im Deutschlandradio Kultur. In der Kulturförderpolitik folge man aber einem anderen Kulturbegriff.

"Unwissen und einen Mangel an kulturpolitischer Verantwortung" wirft der Deutsche Bühnenverein den Autoren vor. Geschäftsführer Rolf Bolwin warnt vor Massenentlassungen an Theatern, würde ein solcher Kahlschlag durchgezogen. Außerdem sei es irrig anzunehmen, dass das ersparte Geld in andere Theater gesteckt würde.

Christian Höppner, Generalsekretär des Deutschen Musikrates, schlägt in dieselbe Kerbe: Ein Armutszeugnis für die Kulturwissenschaft in Deutschland nannte er die Thesen. "Die Autoren des "Spiegel"-Artikels offenbaren nicht nur ihre dem Elfenbein geschuldete Unkenntnis über das Kulturland Deutschland, sondern vermischen - mindestens grob fahrlässig - wenige Fakten zu einem inkonsistenten Begründungsgebäude." Als Hauptargument führen die Subventionsverteidiger an, dass Kultur nicht nach den Regeln der Marktwirtschaft bemessen werden könne. Dazu sei sie auch gesellschaftlich viel zu wichtig.

Der Präsident des Deutschen Museumsbundes, Volker Rodekamp, verurteilte die Forderungen der Autoren: "Solche plakativen Gedankenspiele sind gefährlich und können leicht missbraucht werden." Aber kürzlich räumte Rodekamp auch ein: "Die Zeiten, in denen die Museen sich darauf verlassen konnten, unantastbar zu sein, sind vorbei." Experten sehen den "Museumsboom" in Deutschland schon länger kritisch. Die Zahl der Museen steigt, während die Bevölkerung schrumpft. Es gebe Untersuchungen, wonach Ende dieses Jahrhunderts ein Museum auf etwa 2000 Bürger komme, sagt Rodekamp. Ähnliches gilt für die Konzerthäuser. Immer weniger Menschen wachsen mit einer Affinität zu klassischer Musik auf, sagen Musik-Experten. Konzertsäle würden vor allem von älteren Menschen bevölkert.

Aus der Politik kommt teilweise Zustimmung zur Kürzungsforderung. "Über viele Jahre hat sich eine Förderpraxis entwickelt, die in ihrem Ergebnis nicht immer schlüssig ist", meint der kulturpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Siegmund Ehrmann. Allerdings sei eine pauschale Halbierung "plan- und konzeptlos".