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Stadtgeschichte Als Magdeburg sich neu erfand

Mit der Sonderausstellung „Reformstadt der Moderne“ erzählt das Kulturhistorische Museum Magdeburg, wie sich die Stadt in den neu erfand.

Von Grit Warnat 08.03.2019, 00:01

Magdeburg l Schwarz-Weiß-Fotos zeigen die nach Arbeit suchende Stenotypistin und ein trostloses, beengtes Häusermeer mit Hinterhöfen à la Zille. Wohnungsmangel, Arbeitslosigkeit, aber auch ein neues Wahlrecht bestimmen die Zeit nach dem verheerenden Ersten Weltkrieg mit seinen Abermillionen Toten. In Magdeburg werden in der neuen Weimarer Republik die Sozialdemokraten stärkste Kraft. Hermann Beims wird 1919 Oberbürgermeister. „Er will Magdeburg zu einer modernen, sozialen Stadt machen“, sagt Kurator Michael Stöneberg. Für ihn war Beims der Impulsgeber für Aufbrüche in der Architektur, Kunst, Kultur und Bildung. Er holte sich kreative Köpfe für diesen Weg an seine Seite und formte, so Stöneberg, „eine Modellstadt der Moderne“. In mehreren Kapiteln wird von diesen Aufbrüchen und Visionen, auch nicht verwirklichten Plänen erzählt.

„Reformstadt der Moderne“, so der Titel der Sonderausstellung zum 100. Bauhausjubiläum, ist keineswegs eine Architekturschau. Sie blickt selbstredend auf den Siedlungsbau, der auch in der Weltwirtschaftskrise fortgesetzt werden konnte. Aber vielmehr gibt das Museum einen Überblick, wie die Stadt in eine neue Zeit durchstarten wollte: Mit ihren spektakulären Großausstellungen, einem ausgeklügelten Stadtmarketing, Investitionen in Straßenbahnlinien und eine neue Wasserversorgung, der Gründung von Versuchs- und Reformschulen, dem Bau von modernen Krankenhäusern – bis hin zur farbigen Gestaltung.

Beims habe Magdeburg auf die Höhe von 1631 bringen wollen, erinnert Kulturbeigeordneter Matthias Puhle an einen Satz des einstigen Stadtoberhauptes. Beims sei es dabei um die einstige Bedeutung im Mittelalter gegangen. Vor 1631, vor der großen Zerstörung unter Tilly, zählte Magdeburg zu den einwohnermächtigen, bedeutenden Städten des Reiches. Ambitionierte 700  000 Einwohner schwebten den Stadtoberen in den zwanziger Jahren vor.

Zu sehen ist auf großflächigen Aufnahmen das Gelände, das einst in kurzer Zeit für die Theaterausstellung geschaffen wurde. Wo 1927 am Fuße des Albinmüller-Turmes Künstler aller Couleur auftraten und Menschenmassen zu den Bühnen zogen, gab es 1929 wieder eine große Ansammlung. Der SPD-Parteitag tagte in Magdeburg. Auf alten Fotos sind Märsche hin zur Kundgebung zu sehen. Bewegte Bilder gibt es vom Bundesfilmarchiv Berlin, die einen mit Tausenden Menschen gefüllten Ehrenhof an der Stadthalle zeigen. Eine Volksstimme liegt aus. Es ist eine mehrseitige Reproduktion von 1929, eine Sonderausgabe, die die damals sozialdemokratische Tageszeitung zum SPD-Parteitag gedruckt hatte. Stöneberg sagt, es sei ihm wichtig gewesen, den Reformwillen in die politischen Verhältnisse in Magdeburg zwischen 1918 und 1933 einzuordnen.

Zu den Exponaten gehören auch der Generalsiedlungsplan von 1923 und wagemutige Bebauungspläne am Stadtmarsch (auf der Elbinsel). Das Architekturmuseum der Technischen Universität München hat einen Entwurf von Paul Thiersch als Leihgabe zur Verfügung gestellt, der zeigt, dass die Visionen keine Grenzen kannten. Thiersch hatte sich mit seinem monumentalen Rathaus, in dessen Mitte ein kreisrundes Arbeitsamt thront, um das Amt des Stadtbaurates beworben. Heute kann sich Magdeburg wohl glücklich schätzen, dass diese Idee keine Umsetzung fand. Die Weltwirtschaftskrise kam dazwischen.

Die Entwicklung der Stadt wird besonders anschaulich durch ein multimediales 3D-Stadtmodell. Vier Filme sind abrufbar, die ab 1850 vor Augen führen, wie sich Magdeburg erst von seinen Festungen befreite und dann räumlich immer weiter wuchs.

Zur künstlerischen Bebilderung ist das Kulturhistorische Museum auch in den eigenen Sammlungen fündig geworden. Max Pechstein, Max Beckmann, George Grosz, Otto Dix wurden gehängt. Ausgestellt ist das Aquarell „Der kleine Ingenieur“ von Johannes Molzahn. Es gehörte einst dem Magdeburger Museum, gelangte aber unter den Nazis als „entartete Kunst“ nach Rostock. Nun ist es auf Zeit wieder in seine einstige Heimat zurückgekehrt.

„Reformstadt der Moderne“ läuft bis 16. Juni, geöffnet: dienstags bis freitags 10 bis 17 Uhr, Wochenende bis 18 Uhr, Eintritt 8 Euro, erm. 6 Euro.Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre Eintritt frei. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen (22 Euro).