Wernigeröder Schlossfestspiele starten mit dem "First Night"-Konzert in die 17. Saison Südländisches Lebensgefühl im Schlosshof
Das Wetter hielt! Die 17. Wernigeröder Schlossfestspiele fanden mit der "First Night" des Philharmonischen Kammerorchesters am Sonnabend im Innenhof des Schlosses ihren stimmungsvoll-beschwingten Auftakt.
Wernigerode l Es war ein ganz besonderes spanisch-argentisches Programm. Die Werke von Astor Piazzolla, Manuel de Falla, Ramiro Gallo und des Bandoneon-Virtuosen und Komponisten Lothar Hensel zauberten mit erotisch-wehmutsvollen Tangos und leidenschaftlichen Flamenco-Klängen südländisches Lebensgefühl und Temperament vor das geistige Auge der Zuhörer.
Einleitend erklang Piazzollas "Un Argentina en Paris" - sechs Sätze für Streichorchester, Harfe, Klavier und Bandoneon, ergänzt durch einen Walzer von Lothar Hensel. (Man denkt beim Nennen dieses Titels unwillkürlich an Gershwins "Ein Amerikaner in Paris" von 1928 - auch das war eine grenzüberschreitende sinfonische Erkundung.) Mit diesem frühen Werk verlor der Tango den Ruch von Kaschemmen und Bordellen. Er wurde durch Piazzolla zu Weltkunst geadelt. Es sind Impressionen aus seiner Lehrzeit bei der expressiven Kompositionslehrerin Nadia Boulanger in Paris.
Sie schildern "Picasso" und die Bedeutung der Formel "S.V.P." (s\'il vous plait - wenn es Ihnen gefällt, bitte), sind in einer "Sens unique" (Einbahnstraße) unterwegs und geben dem "Zigeuner-Tango" eine Stimme und Gefühl - höchst kunstvoll mit europäischen Vorbildern wie Ravel, Debussy und Bartók verwoben.
"Liebeszauber" mit Sinnlichkeit, Glut und Magie
Die Philharmoniker unter Musikdirektor Christian Fitzner sind bei all diesen Adressen gut zu Hause; ihr Klang war eine irisierende Verlockung, verführerisch in vielerlei Nuancen schillernd. Die Violinsoli von Konzertmeister Krzysztof Baranowski und besonders das tragende Bandoneon des Solisten Lothar Hensel wirkten wie Grenzgänge zwischen den musikalischen Welten Piazzollas, zwischen Stilrichtungen und Einflüssen. Großer Applaus.
Anschließend von Manuel de Falla die 1915 entstandene Ballettsuite "El amor brujo" (Liebeszauber) mit dem Untertitel "Zigeunerszenen aus Andalusien". Er gilt als der spanische Komponist des 20. Jahrhunderts schlechthin; 1939 musste er nach Argentinien emigrieren. Ein grandioses, effektvolles Stück für das nun um die Bläser erweiterte Orchester. Sentimental und zart, kraftvoll und überbordend an Lebensfreude - und alles um den Flamenco kreisend. Der Favorit des Abends. Fitzner gab dem "Liebeszauber" Sinnlichkeit, Glut und Magie. Das war großartig - wie auch die herausragende Solo-Oboe.
Eine Entdeckung in der Gegenwartsmusik
Neun Miniaturen von Ramiro Gallo (Jahrgang 1966) schlossen sich an. Lakonische Beobachtungen, ursprünglich für ein Tangoquintett geschrieben und später für Kammerorchester instrumentiert. Eine verdienstvolle Entdeckung in der Gegenwartsmusik.
Die "Suite "Guardia vieja" (Alte Garde) für Bandoneon und Orchester mit Lothar Hensel als Komponisten und Solisten bildete den Kehraus. Ein Paradestück für das schwierig zu spielende Instrument mit dem unverwechselbaren Klang. Die Knöpfe erzeugen bei Druck und Zug des Balges unterschiedliche Töne. Heinrich Band aus Krefeld hatte vor 150 Jahren das Instrument erfunden; der Krefelder Hensel setzt als weltweit gefragter Musiker die Tradition fort. Es gab nach langem Applaus eine Zugabe - natürlich mit Bandoneon: die "Einbahnstraße" von Piazzolla.