1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Mitten im Skandalkarussell

Theater Magdeburg Mitten im Skandalkarussell

Die Kammeroper „Powder her Face“ von Thomas Adès hatte am Sonnabend Premiere am Schauspielhaus Magdeburg.

Von Irene Constantin 02.04.2018, 23:01

Magdeburg l Dass in der Kammeroper „Powder her Face“ eine irgendwie logisch ablaufende Handlung stattfindet, muss man im Programmheft lesen. Auf der Bühne gibt es eine bunte Folge von kurzen Sketchen, in denen in wechselnder Besetzung gelästert, geleckt und geludert wird.

Ein mindestens zwielichtiger Elektriker amüsiert sich mit der verderbten Kammerzofe. Im Handumdrehen verwandeln sich dieselben in ein lästernd smalltalkendes Partypärchen, später wird es ein spießiges schottisches Ehepaar. Weitere Daseinsformen sind ein verklemmt lüsterner Zimmerkellner und ein nacktes Grisettchen. Auch kommen zwei Paviane vor, die ein selbstbefriedigungstaugliches rotes Riesentelefon herbeischleppen. Alles ziemlich krass, aber nicht unamüsant von Magdalena Fuchsberger in Szene gesetzt.

Dabei ist das wandlungsfähige Pärchen nebst seinen shakespearisch-tierischen Assistenten durchaus nicht das Hauptpersonal im Skandalkarussell von Thomas Adès und seinem Librettisten Philip Hensher. Eigentlich dreht sich alles um Margaret Campbell, Herzogin von Argyll.

Diese 1912 in Schottland als Millionärstochter geborene, zweimal verheiratete High-Society-Lady gab es wirklich. Ihrer jugendlichen Schönheit wurden Porträts und Songs gewidmet, an ihrem ersten Hochzeitskleid arbeiteten 300 Leute geschlagene sechs Wochen. 2000 Leute belagerten den Ort der Trauungszeremonie. Eine Leuchte des Geistes ist die humorlose und „eingebildete und geschwätzige Wichtigtuerin“ – so das beste Kompliment ihres ersten Gatten – nie gewesen. Ihr Leben bestand aus dem Warten auf den Nachmittagstee, die Zeit zum Ankleiden, den ersten Cocktail, das Dinner, das Bett. Ihre Party-Exzesse füllten als nie versiegende Quelle die Regenbogenpresse. Ganz oben auf der medialen Hitliste stand allerdings die Scheidung von ihrem zweiten Mann, dem 11. Duke of Argyll. Vier Jahre zog sich der Monster-Prozess hin und galt als „längstes und kostspieligstes Scheidungsverfahren der schottischen Rechtsgeschichte“. Margaret wurde als perverse und amoralische Alleinschuldige hingestellt. 1993 starb sie völlig verarmt.

Die Oper setzt 1990 ein, als sie mangels Liquidität aus ihrem letzten halbwegs standesgemäßen Domizil hinausgeworfen wird. In Rückblenden leuchten ihre schrillsten Affären auf. Die allerschrillste kam im Scheidungsprozess zutage. Man hatte ihre Zimmer durchsucht und Polaroid-Fotos gefunden, in denen die nur mit Perlen und Lippenstift bekleidete schottische Lady beim Oralverkehr zu sehen ist. Es kam nie heraus, wer der von unten bis zum Hals abgelichtete Mann war. Adès und Hensher machten ihn zum Zimmerkellner und komponierten der Lady zum Verführungsakt eine „Fellatio-Arie“ in die Kehle, die naturalistischerweise nicht ganz artikuliert endet. Englischer Humor eben. In sich steigernder rhythmischer Präsenz geht überhaupt so manches Stücklein in dieser Kammeroper über die zweigeteilte Bühne.

Dirk Steffen Göpfert hat eine kreisrunde Ottomane in den Vordergrund gestellt. Hinter dem Lotterbett öffnete sich in jeder Episode ein ovales Fenster und bot jeweils Einblicke in Margarets und anderer Leute Intimsphäre. Auch der auch ach so unschuldige und stilbewusste Herzog Argyll ist bei nicht wirklich vorzeigbaren Beschäftigungen zu besichtigen. Männlein wie Weiblein hatte Kostümbildnerin Kathrin Hegedüsch in kleidsame Strapse und Miederwaren gestopft. Nur der Scheidungsrichter durfte über seinen Knochenbeinen noch einen langen Umhang nebst zerraufter Perücke und Dornenkrone tragen.

Eine Meisterleistung der vier Sänger, drei von ihnen in vielen verschiedenen Rollen, war es, das Ganze hochkonzentriert und mit völlig ernsten Gesichtern zu zelebrieren. Noa Danon war eine perfekte Besetzung für die Lady. Musikalisch sowieso bestens orientiert und ausdrucksstark, hatten ihre Sex-Sehn-Sucht und ihr ältliches Zusammenbrechen auch darstellerisch fast etwas Rührendes an sich. Daire Halpin war das klarstimmige und überhaupt stets bereite Kammerkätzchen, Jonathan Winell der Elektriker, Zimmerkellner, Schotten-Spießer. Er hätte seinen exzellenten hohen Tenor noch ein bisschen gespenstischer durch die Szenen ölen lassen können. Paul Sketris gab ein mageres Gruselgestell von beeindruckender bassgetönter Verlogenheit als Herzog, Hotelmanager und Richter; als der leibhaftige Tod.

Hans Rotman leitete ein Kammerorchester, man könnte auch Band sagen, die Adès‘ Komposition sehr ausgefuchst musizierte. Ein schriller Tango am Anfang, ein Todes-Tango auch am Schluss. Dazwischen viel Spaß mit der Musikgeschichte. Ein Love-Song war zu hören, eine Koloraturarie des traditionsbewussten Herzogs, irgendwann klang es so maskiert wie der „Rosenkavalier“, auch so gefühlig wie Puccini. Reichlich Bläsersound sorgte auch für reichlich Schwärze – alles zusammen eine prickelnde, spannende Mischung, der das Publikum herzlichen Beifall spendete.