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Das Dorf des Schweigens

Die Vergangenheit sollte man besser ruhen lassen - vor allem dann, wenn es keine schöne ist. Aber manchmal ist der Wunsch nach einer Aufarbeitung einfach zu groß.

Von Klaus Braeuer, dpa 21.02.2016, 23:01

Berlin (dpa) - Eine blonde Frau mit Rucksack kommt in eine kleine Stadt in den Bergen. Dort blickt sie erst in den rauschenden Wildbach hinab und dann hinauf in die Gipfel. Schließlich nimmt sie ein Zimmer im Gasthaus, wo sie von einer frühen Schulfreundin erst nicht erkannt wird.

So beginnt der Film Das Dorf des Schweigens, der an diesem Montag (20.15 Uhr, ZDF) zu sehen ist. Ähnlich wie in Filmen wie Engel unter Wasser oder Tod auf der Insel geht es um ein ziemlich düsteres Familiengeheimnis.

Lydia (Ina Weisse) kehrt nach vielen Jahren zurück in ihre österreichische Heimatstadt Bad Gastein, die sie einst verließ, um nach Amerika zu gehen, wo sie bis vor kurzem in einer Autovermietung gearbeitet hat. Sie platzt mitten in ein Mittagessen ihrer Familie, die sie nicht gerade mit offenen Armen empfängt. Ihre Eltern Karin (Hildegard Schmahl) und Hans (Helmuth Lohner) zeigen sich mäßig überrascht, ihr Bruder Max (Hary Prinz) leitet das Hotel, in dem sich alle treffen, und reagiert eher nüchtern. Am nettesten ist noch ihre Halbschwester Eva (Petra Schmidt-Schaller), die kurz vor der Hochzeit mit ihrem Freund Christian (Simon Schwarz) steht.

Lydia behauptet sogleich, dass sie vor 30 Jahren von Christian vergewaltigt worden sei - mit gerade mal 14 Jahren. Er ist Lehrer und muss fortan feststellen, dass sich Gerüchte rasch verselbstständigen und die Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung anders reagieren, als er es sich erhofft hat: Ablehnung und Verleumdungen stehen nun auf der Tagesordnung. Alsbald wird Christians Leiche aus dem Flussbett geborgen, das sich mitten durch den Ort zieht. Die Polizist Fritz Stadler (Karl Fischer) - ein Freund der Familie - geht von Selbstmord aus und will den Fall zu den Akten legen. Eva glaubt jedoch, dass Lydia ihren zukünftigen Mann in den Tod getrieben hat und beginnt, die Familiengeschichte zu durchleuchten. So findet sie heraus, dass Lydia einst schwanger war, angeblich eine Totgeburt erlitten hat und alle davon wussten - nur sie selbst nicht.

Das ist harter Tobak. Eva ist von allerlei Ängsten getrieben und meint von sich, dass sie nicht sie selbst, sondern eine andere sei. Die Mutter ist sichtlich verwirrt und behauptet, dass sie so vieles falsch gemacht hat mit der Erziehung ihrer Kinder. Und Lydia schließlich leidet unter Schizophrenie und hat in der Pubertät versucht, sich umzubringen. Dergleichen hat man schon in ähnlichen Filmen (Am Ende des Schweigens, Im Tal des Schweigens) gesehen, doch ist die Dramatik des Zerfalls einer Familie in Das Dorf des Schweigens deutlich höher.

Die Kamera (Bella Halben) zeigt gerne Kino-Aufnahmen von oben, Nebelschwaden durchziehen die pittoreske Landschaft, Autos fahren in Tunnels hinein (kommen aber nicht mehr heraus). Das sind schöne Metaphern, und dazu passt die Musik (Alex Kornlew), die des öfteren dramatische Klänge annimmt. Martin Ambrosch (Spuren des Bösen, Das finstere Tal) liefert mit seinem Drehbuch die Vorlage für einen dichten Film, der ganz nah an seinen Figuren bleibt. Regisseur Hans Steinbichler (Hierankl, Winterreise) ist selbst in den Alpen aufgewachsen und zeigt Bilder in allerlei Abgründe, vor allem in menschliche. Es geht um aufgebaute Lebenslügen, die Zerstörung vermeintlich heiler Welten und darum, wie viel Wahrheit ein Mensch auszuhalten vermag.

Lydia und Eva stehen im Zentrum der unseligen Melange aus Schweigen und Nichtwissenwollen. Sie müssen sich am Ende dieser Abrechnung einer ungeheuerlichen Wahrheit stellen, samt ihrer dramatischen Wucht. Der Film hat einen missverständlichen Titel (es ist weder ein Dorf, und geredet wird auch einiges), bietet aber gutes Schauspiel: Petra Schmidt-Schaller spielt am Überzeugendsten, während Ina Weisse einmal mehr mit kühler Wortkargheit auffällt. Es ist der letzte Film mit dem Schauspieler und Regisseur Helmuth Lohner, der am 23. Juni 2015 mit 82 Jahren starb. Er spielt den schon ziemlich gebrechlich wirkenden Familienpatriarchen, der den Zerfall seiner Familie nicht aufzuhalten vermag, mit großer Würde und Präzision. Auch und gerade deshalb lohnt es sich, einzuschalten.

Das Dorf des Schweigens