TV-Tipp „Nackt über Berlin“: Zwei Außenseiter spielen Gott
Wild, bunt, unerwartet: Die ungleichen Freunde Jannik und Tai machen Nächte durch, verlieben sich und fassen einen folgenschweren Plan. Diese Mini-Serie ist ein Mix von Thriller und Coming-of-Age-Story.

Berlin - Ein Mann in mittleren Jahren liegt mit aufgeschlitzten Pulsadern bewusstlos in der Badewanne. Blut strömt die Wannenwände herab. Panisch verschafft sich ein rundlicher Teenager Zutritt zu der schicken Hochhaus-Wohnung mit Blick auf Berlin, zerrt den völlig angezogenen Mann aus dem Wasser. Er holt Hilfe. Was ist nur passiert?
Rückblende, zehn Tage zuvor: Der gutmütige Jannik (Lorenzo Germeno) betritt den Schulhof und wird sofort von Mitschülerinnen wegen seines Übergewichts gemobbt. Ein Lehrer geht genervt dazwischen. Es ist der Mann, der später in der vollen Wanne liegen wird. „Nackt über Berlin“ ähnelt anfangs einem Puzzlespiel. Der Sechsteiler läuft am Donnerstag ab 20.15 Uhr auf Arte und am Freitag noch mal ab 22.20 Uhr im Ersten. Beide Sender haben die Mini-Serie auch in ihre Mediatheken gestellt.
Was wie ein Krimi beginnt, ist in erster Linie eine stürmische queere Coming-of-Age-Geschichte zwischen Freundschaft und erster Liebe. Es geht um die Gegensätze zwischen gesellschaftlichen Erwartungen an junge Männer und deren wahren Emotionen. Tai (Anh Khoa Trần), dessen Familie aus Vietnam stammt, ist genau so ein Außenseiter wie Jannik. Für die Mitschüler sind die zwei „Fetti“ und „Fidschi“. „Fidschi“ ist in Ostdeutschland ein geläufiges Hetzwort gegen Asiatischstämmige.
Der introvertierte Jannik, der sich in klassischer Musik von seinem Vorbild Tschaikowsky verlieren kann, verliebt sich ins IT-Genie Tai. Tai öffnet Jannik seine Familie, seine vietnamesische Welt in Berlin.
Janniks Vater (Devid Striesow) hält nicht viel von seinem Sohn. Er sieht in dem weichen, übergewichtigen, Musik liebenden Teenager den klaren Gegensatz zu jenen muskulösen, jungen Männern, die er selbst im Leistungssport trainiert. Er erwägt, Jannik einer Hormontherapie zu unterziehen, damit er „auch untenrum“ wächst. Die Mutter (Alwara Höfels) hingegen liebt Jannik vorbehaltlos und ist nicht überrascht, als er sich vor ihr nach einer durchgemachten Nacht als schwul outet.
Als die beiden Freunde eines Nachts ihren vollkommen betrunkenen Schuldirektor Jens Lamprecht auflesen und in seine Wohnung bringen, sperren sie ihn dort ein. Erst ist das noch als Scherz gedacht. Aber dann lässt Tai den Direktor nicht wieder hinaus. Stattdessen nutzt er seine technischen Fertigkeiten, um Lamprechts High-Tech-Wohnung völlig unter Kontrolle zu bringen. Der Lehrer muss feststellen, dass er zum Gefangenen geworden ist, totalüberwacht von einer anonymen Stimme, die sich „Gott“ nennt und nach seinen Sünden forscht.
Jannik erkennt, dass Tai dem Direktor Mitschuld am Tod einer Mitschülerin gibt, die Suizid begangen hat. Während der acht Tage, die Lamprecht eingeschlossen ist, verrät er immer mehr von der tragischen Geschichte. In der sehenswerten Miniserie von Axel Ranisch - produziert vom Südwestrundfunk und Arte - deutet sich bald an: Tai hat eigene Motive.