Fernsehen Spaniens langer Weg zur Franco-Aufarbeitung - Arte-Doku
Putschversuch, Massengräber, schmutziger Krieg: Spaniens Weg aus dem Schatten der Diktatur bleibt voller Brüche. Warum auch 50 Jahre nach Franco viele Fragen offen sind.

Berlin/Madrid - Ministerpräsident Carlos Arias Navarro war den Tränen nahe, als er am 20. November 1975 in einer Fernsehansprache verkündete: „Spanier, Franco ist tot“. Für viele Spanier war das allerdings eher ein Moment der Freude, auf den sie jahrzehntelang gewartet hatten.
„Als ob man aus einer Flasche den Korken zieht und dann schießt die ganze Kraft, der ganze Geist, der drin war heraus“, beschreibt der Autor José María Beneyto den Moment in der Arte-Dokumentation „Das Erbe des Diktators - 50 Jahre Demokratie in Spanien“ (heute um 22.00 Uhr auf Arte).
Die Dokumentation begleitet Óscar Martín und Paloma Rodríguez, beide geboren an Francos Todestag, gemeinsam mit Zeitzeugen durch fünf Jahrzehnte spanischer Geschichte zwischen Schweigen, Versöhnung und dem Ruf nach Gerechtigkeit.
Langsamer Übergang von der Diktatur zur Demokratie
Der Tod des „Caudillo“ (Führers) 1975 bedeutete keineswegs das sofortige Ende der Diktatur. Sein Nachfolger wurde der von Franco selbst dazu auserkorene König Juan Carlos I. Der Monarch entschied sich für einen langsamen Weg in die Demokratie.
Im Juni 1977 wurden erste freie Wahlen abgehalten, kurz zuvor waren auch Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaften wieder erlaubt worden. Das neue Parlament verabschiedete ein Amnestiegesetz, das politischen Gefangenen des Regimes die Freiheit, sämtlichen Tätern und Handlangern der Diktatur allerdings auch Straflosigkeit versprach.
Putschversuch gegen die junge Demokratie
„Viele beschreiben die "Transición" als friedlichen Übergang, obwohl die Zeit der 1970er und frühen 1980er Jahre von extremer Gewalt geprägt waren“, sagt die Historikerin Sophie Baby.
Den Höhepunkt dieser Gewalt markierte der Putschversuch des Oberstleutnants Antonio Tejero 1981. Einheiten der Guardia Civil stürmten mit Maschinenpistolen bewaffnet vor laufenden Kameras das Parlamentsgebäude und nahmen die Abgeordneten als Geisel. Anders als wohl von den Putschisten erhofft, stellte sich König Juan Carlos in einer nächtlichen Fernsehansprache gegen den Umsturz.
Doch die alten Geister blieben am Leben. „Der Faschismus ist niemals verschwunden, er lauert in den Ecken, mit Wut, viel Wut“, sagt die Transaktivistin und Senatorin Carla Antonelli. Ein zentraler Treffpunkt für Franquisten und Neonazis aus ganz Europa war das „Tal der Gefallenen“ (Valle de los caídos). 20 Jahre lang mussten bis zu 20.000 Gefangene in Zwangsarbeit das Monument des Faschismus erbauen. Nach Francos Tod wurde sein Leichnam dort beerdigt, jährlich gab es eine große Feier zum Todestag des Diktators inklusive einer katholischen Messe.
„Schmutziger Krieg“
Das blutigste Kapitel der spanischen Demokratie ist mit Sicherheit der Kampf zwischen dem Staat und der baskischen Terrororganisation ETA. Bis zur Auflösung der ETA 2018 fielen ihren Anschlägen etwa 850 Menschen zum Opfer. Der Staat antwortete mit einem „schmutzigen Krieg“, in dem paramilitärische Todesschwadronen vermeintliche ETA-Mitglieder aufspürten, folterten und ermordeten. Innenminister José Barrionuevo wurde 1998 wegen seiner Verstrickungen in die Verbrechen zu 10 Jahren Haft verurteilt.
Diktator Franco bekommt ein „zweites Staatsbegräbnis“
Die Umbettung von Francos Leichnam 2019 in einen normalen Friedhof zeigte die andauernden Spannungen in der spanischen Gesellschaft. Für Juan Chicharro, Präsident der Francisco-Franco-Stiftung eine „Schändung der Leiche, ein purer Racheakt einer sozialistisch-kommunistischen Regierung“. Emilio Silva, der sich für die Entdeckung von Massengräbern aus der Diktatur engagiert, vergleicht die live im Fernsehen übertragene Zeremonie mit „einem zweiten Staatsbegräbnis“.
Mit zwei Gesetzen versuchte die sozialdemokratische Regierung 2007 und 2022, die Aufarbeitung der Diktatur voranzutreiben. Franquistische Symbole sollten aus dem Stadtbild verschwinden, die Suche nach Massengräbern unterstützt werden.
Doch die Täter des Regimes blieben weiterhin vor der Strafverfolgung geschützt. Barcelonas ehemalige Bürgermeisterin Ada Colau hält das für ein gefährliches Erbe. Der Übergang der Diktatur in eine konstitutionelle Monarchie sei eine erste „Transición“ gewesen, aber „viele Leute halten eine zweite "Transición" für notwendig“.
Die Suche nach Tätern bringt Probleme
Welche Schwierigkeiten es bei der Suche nach Schuldigen gibt, musste auch Spaniens wohl bekanntester Ermittlungsrichter Baltasar Garzón feststellen. Bei Ermittlungen zu unbekannten Massengräbern aus der Franco-Zeit, in denen noch immer bis zu 100.000 Menschen vermutet werden, geriet er selbst ins Visier der Justiz. Der Oberste Gerichtshof warf ihm vor, mit seinen Ermittlungen gegen das Amnestiegesetz von 1977 verstoßen zu haben. „Das ist, als wenn man in Deutschland ein Verfahren gegen die Ermittler der Verbrechen des Nationalsozialismus und Hitlers einleiten würde“, sagt Garzón.
Óscar Martín und Paloma Rodríguez, die gemeinsam mit der spanischen Demokratie ihren 50. Geburtstag feiern, können trotz aller Hindernisse auf ein bisheriges Leben in Freiheit zurückblicken.
Martín glaubt allerdings nicht, dass das Kapitel der Diktatur schon abgeschlossen sei. „Ich bin überzeugt, dass wir nach all den Jahren noch immer in der "Transición" sind“, sagt er.
Ermittlungsrichter Garzón will nach 50 Jahren die Phase des Übergangs endlich verlassen. „Eine Demokratie ist keine Demokratie, wenn sie ihre Vergangenheit nicht aufarbeitet. Vergessen oder Leugnen sind keine Lösungen.“