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Buchvorstellung „Vaterliebe“: Nick Wilders Roman mit bedrückender Aktualität

Verdrängte Schuld, Flucht aus der Enge und eine Reise durch düstere Kapitel der NS-Geschichte - Nick Wilders Roman rüttelt auf. Wie viel eigene Wahrheit steckt zwischen den Zeilen?

Von Sönke Möhl, dpa 07.11.2025, 07:00
Nick Wilder setzt sich im Roman „Vaterliebe“ mit der Verdrängung des Nationalsozialismus und der steten Gefahr des Rechtsextremismus auseinander.
Nick Wilder setzt sich im Roman „Vaterliebe“ mit der Verdrängung des Nationalsozialismus und der steten Gefahr des Rechtsextremismus auseinander. Markus Scholz/dpa

Fehmarn - Mit dem Roman „Vaterliebe“ hat sich Schauspieler, Musiker und Autor Nick Wilder (72) ein Trauma von der Seele geschrieben. Das rund 600 Seiten umfassende Buch schlägt einen Bogen von der Verdrängung und Leugnung der NS-Verbrechen und der Verstrickung vieler Familien darin bis hin zu aktuellen politischen Entwicklungen. 

Es geht um den Protagonisten Alex von Stein, der ein Leben lang vergeblich die Anerkennung und Liebe seines Vaters sucht und auf bedrückende Art in politische und kriminelle Abgründe blickt. Damit verarbeitet der frühere „Traumschiff“-Schauspieler Wilder auch die eigene Jugend auf der Ostseeinsel Fehmarn.

NS-Vergangenheit auf Fehmarn verdrängt

Wilders Vater war bei der Waffen-SS, er war bereits früh am Aufbau der Nazi-Diktatur beteiligt - ließ nach dem Zweiten Weltkrieg aber nie ein Gespräch über Verantwortung und Schuld in der Familie zu. „Bei uns lag regelmäßig die NPD-Zeitung auf dem Tisch, und am Stammtisch wurde der Holocaust als Erfindung abgetan“, sagte Wilder.

„Dieses Schweigen, das Verdrängen, hat mich nie losgelassen. Später kehrte es in Träumen wieder – wie Filmszenen, die sich immer neu zusammensetzten“, sagte der 72-Jährige, der als junger Mann der Enge der Insel entfloh, als Surfer und Musiker die Welt erkundete und sich schließlich als Schauspieler in Montana und Südtirol niederließ.

Autobiografische Anteile im Roman

„Alex ist in vielen Momenten ich“, betonte Wilder. „Die Tischgespräche mit dem Vater – "Wir haben nichts gemacht, das war alles Propaganda, die Juden wollen Deutschland vernichten" –, der Drang, einfach wegzufliegen, die Reise nach Amerika, der Aufbruch nach Florida – das alles habe ich selbst erlebt.“ Die Begegnung mit und die freundliche Aufnahme durch eine jüdische Familie in den USA, eine wegweisende Begegnung mit einer Wahrsagerin, das alles sei er.

Der Rest der Geschichte, gemeinsam mit Co-Autor Richard Opper geschrieben, ist Fiktion, eine mehrschichtige Handlung zwischen actiongeladenem Agentenroman, Lebens - und Liebeserzählung, die den Leser immer wieder auch erschaudern lässt über das, was politisch in der Welt geschah und gerade geschieht.

Appell gegen politische Leichtgläubigkeit 

In einem Rückblick ins Jahr 1937, als die Weimarer Demokratie bereits von der Diktatur der Nationalsozialisten vollständig zerstört war, sagt der abgesetzte Bürgermeister von Tönning, wo Wilder die historische Handlung spielen lässt, Emil Stubben, einen entscheidenden Satz, um den Bogen ins Jetzt zu schlagen: „Es scheint, als hätte das ganze Land den Verstand verloren. Wie konnten wir nur so leichtgläubig sein?“

Wilder und Opper nehmen die Leser mit auf eine zwar erdachte, aber immer wieder an realen Ereignissen orientierte, spannende Reise auf der Suche nach Wahrheit und Versöhnung durch die Geschichte bis in die Zeit nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York. Dabei ist nichts, wie es scheint, am Ende hält keine sicher geglaubte Gewissheit der Realität stand.

Drehbücher für Fernsehserie gingen Roman voraus

Die Idee zu dem Buch gehe bis ins Jahr 2016 zurück, sagte Wilder. Zunächst habe er mit dem amerikanischen Drehbuchautor Opper eine zehnteilige Fernsehserie geschrieben. Beiden erschien der Stoff zu komplex für einen einzigen Film. Ein Roman wurde erst später daraus. Ob die Drehbücher verfilmt werden, ist noch offen.

Wilder hofft, Menschen berühren zu können und so für das schwierige Thema zu interessieren. „Ein Buch, ein Film, eine Geschichte, die das Herz erreicht und an die Empathie des Menschen appelliert, bewirken immer etwas“, ist er überzeugt. „Zahlen schaffen Fakten, aber sie berühren nicht. Geschichten können das – sie öffnen den Kopf über das Herz.“

Wilder: nicht von Demagogen und Hetzern spalten lassen

Auch in der aktuellen politischen Situation, in der die Demokratie überall auf der Welt angegriffen wird, bleibt Wilder Optimist. „Aber ich glaube, es werden noch schwere Zeiten kommen, bevor die Menschen endlich verstehen, dass es keine "Herrenrasse" gibt, keine Auserwählten, keine Privilegierten – weder im Glauben noch in der Herkunft“, sagt der 72-Jährige. „Wenn wir es schaffen, uns nicht länger von Politikern, Demagogen und Hetzern spalten zu lassen, dann haben wir eine Chance, gemeinsam die Demokratie zu bewahren.“